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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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und wieder plapperte Bernd beruhigend und zugleich ein wenig provozierend auf sie ein.
    Andreas erschien in der offenen Tür. Ich starrte ihn wohl ein wenig ratlos an, dann nahm ich das Buch vom Tisch und hielt es in die Höhe.
    – Schau, das hast du vergessen.
    Aber in diesem Moment kam Bernd, um seinen Sohn zum Gehen zu holen. Er sah, wie ich ihm das Buch wie ein Geschenk entgegenhielt, und seine Augen schrumpften zusammen. Er blickte zu Boden und nickte, als wollte er sagen: Jetzt wird mir alles klar. Ich ließ das Buch wieder sinken.
    Nachdem Bernd mit Andreas verschwunden war und ich für einen Augenblick allein im Zimmer zurückblieb, warf ich es in eine Ecke. Sofort stand ich auf und holte es, wischte es an meinem Pullover ab und legte es zurück an seinen Platz.
    Die Zeichnung würde sie erst morgen oder übermorgen fertig stellen können, sagte Nina, bis dahin habe sie einiges um die Ohren.
    Bei der Verabschiedung umarmte sie mich und meine Lippen berührten versehentlich ihre Ohrringe,die die Form kleiner abstrakter Vögel hatten. Im Treppenhaus roch es nach fremdem Essen. Ein Hund bellte irgendwo und in einem der oberen Stockwerke übte jemand Posaune. Es wurde Sommer.

2
Die Lesung
    Frühsommer in der Stadt, mit Spielplätzen voller Kinder und Mütter, und mit Wolken, die wie dicke, ausgestopfte Fasane über den Himmel ziehen. Wenn ich am Morgen aus meiner Wohnung im obersten Stockwerk schaute, blinkte im Frühlicht ein weit entferntes Hausdach, ein aufzeigender Schüler, der das Rätsel des Sonnenscheins als Erster gelöst hatte.
    Ich wollte Nina zu meiner Lesung einladen, die sich kurzfristig für diesen Abend ergeben hatte. Ich betrat die Hofeinfahrt des Hauses. Hinter einem alten Gitter kauerte ein unkrautüberwucherter Garten, vom Regen der vergangenen Nacht nass und wüst wie ein Haufen übereinandergeworfene Wäsche.
    Auf und ab marschierend dachte ich daran, wie oft ich schon in einer solchen Situation gewesen war … aber die Situation besaß keine Verbindung mit Zahlen.
Das elfte Mal endloses Warten vor einer fremden Haustür
… Niemand würde das sagen. So wie niemand seine Albträume zählt oder die ungerechtfertigten Wutausbrüche gegenüber seinen ängstlichen Kindern. Nur sehr wenige Dinge unterliegen der Notwendigkeit einer solchen Markierung. Ehen, zum Beispiel. Kriege.
    Nina war nicht zuhause. Ich schob schließlich einenZettel mit der Einladung unter der Wohnungstür durch.
    Der Mann, für den die Zeit zyklisch war
    Ich besuchte den Mann, für den die Zeit zyklisch war, an einem sonnigen Tag im April. Der Grund für meinen Besuch war, dass ich in seine Tochter verliebt war. Elisabeth, das blonde Fotomodel, war trotz der fesselnden, drängenden Erotik, die sie in den Männern entfachte, eine friedliche und alles andere als energische Frau, die sich seit Jahren um ihren kranken Vater kümmerte, ihn pflegte und unterhielt. Sie erzählte mir, dass er schon immer recht seltsam gewesen sei, aber seitdem er in einer Bank eine halbe Stunde lang von einem Verrückten als Geisel gehalten worden war, lief von Zeit zu Zeit sein bisheriges Leben wieder und wieder vor ihm ab. Er war in dem Augenblick, da die Mündung des Revolvers auf der Schläfe den Todeskuss übt und nervös hin und her rutscht, während das Gehirn sich durch übertriebene Aktivität auf die bevorstehende Auslöschung vorzubereiten sucht – in diesem quälend grellen Augenblick war er schmerzhaft stecken geblieben. Alles, was ihm von nun an widerfuhr, widerfuhr ihm viele, viele Male. Er war gefangen in einem kontinuierlichen Déjà-vu. Er bekam das Problem zwar mit starken Beruhigungsmitteln einigermaßen in den Griff, war dann aber so betäubt, dass er beinahe nichts mehr selbst tun konnte, sich nichts zu essen machen, sich nicht richtig waschen und erst recht nicht arbeiten. Als Alternative blieb nur, die Medikamente nicht zu nehmen und sich den Endlosschleifen des All-tagsund den daraus resultierenden Panikattacken auszusetzen.
    Als ich Elisabeth und ihren Vater um die Mittagszeit besuchte, war er gerade erst wach geworden. Ich umarmte Elisabeth zur Begrüßung, und sie küsste mich freundschaftlich auf beide Wangen. Sie führte mich in die Küche und balancierte zwei viel zu volle Tassen mit Kaffee von der Kredenz bis zum Tisch. Der Kaffee schwappte über und sie leckte sich über die Hand.
    Jemand im Auditorium lachte aus voller Kehle. Ich schaute kurz auf, aber der helle Scheinwerfer machte aus den Anwesenden nur
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