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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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Schemen.
    Elisabeth setzte sich zu mir und wir unterhielten uns ein paar Minuten. Ihr hübsches Gesicht und ihre weiche, angenehme Stimme verzauberten mich. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren und redete nur zusammenhanglosen Unsinn.
    Schließlich stand sie auf und nahm mich mit ins Zimmer ihres Vaters, der in einem breiten Sessel direkt neben seinem Bett saß und auf die vollkommen leere Wand starrte. Später erklärte mir Elisabeth, dass es das Einzige war, was er über lange Zeit hinweg tun konnte, ohne zu verzweifeln. Ich begrüßte den alten Mann mit leiser Stimme, denn ich wollte ihn nicht erschrecken. Er sah zu mir, dann zu seiner Tochter und schüttelte anschließend den Kopf wie über einen oft gehörten, längst nicht mehr komischen Witz.
    – Was denn noch …, jammerte er leise.
    – Hm, Papa?, sagte Elisabeth und trat näher.
    Mit einem unendlich gequälten Gesichtsausdruck flüsterte er ihr etwas zu.
    – Nein, Papa, sicher nicht, sagte Elisabeth.
    Sie führte mich wieder zurück in die Küche.
    Ich griff nach einem Glas Wasser, um meinen trockenen Mund ein wenig zu befeuchten, da begann jemand zu klatschen, hörte aber gleich wieder auf.
    – Es geht noch weiter, sagte ich ins Mikrofon.
    Ein paar Zuhörer lachten.
    Nach der Lesung drängten sich die Leute in der Nähe des Buffets. Manche begrüßten sich mit Küsschen, gestikulierten mit Zigaretten und Pfeifen, sodass ihre Bewegungen als kleine Arabesken von Rauch in der Luft hängen blieben. Nach der Reihe fanden sie Platz auf den surreal engen Sitzgelegenheiten, die der Innenarchitekt erträumt hatte.
    Ich schüttelte die Hand des Verlegers Wolf, einer der weißhaarigen und leidenschaftlichen Freunde meines Vaters und zugleich der Veranstalter dieser Lesung. Er schwitzte entsetzlich. In einer Ecke des großen Raums unterhielt sich seine Ehefrau mit seiner Geliebten. Die Ehefrau war, wie sich herausstellte, eine Verehrerin der jungen Dichterin. Die Welt war so klein, eine Nussschale voll Ironie. Ich bedauerte den armen Mann und sein krebsrotes Gesicht. Er fragte nach meinem Vater, nach dem
werten Befinden
.
    Ich antwortete ihm, dass die Scheidung meiner Eltern so gut wie vollzogen sei. Er nickte in sein Sektglas.
    Eine Frau kam auf mich zu, um mir zu sagen, dass der Abend zwar schön gewesen sei, aber von meiner
Sinnsuche
sei sie noch nicht ganz überzeugt. DieStille, so sagte sie, fehle in meinem Werk. Ich gab ihr Recht.
    Beim Buffet nahm ich mir zwei belegte Brote und balancierte sie auf dem Programmheft bis zu einem Tisch, um den sich ein paar Kollegen versammelt hatten. Sie beachteten mich kaum, da sie gerade ein hitziges Gespräch über die Verantwortung und das Unsagbare in der Politik führten.
    – Aber sind nicht die Leerstellen in der Politik gerade das, worauf es ankommt?
    – Ja, vielleicht wenn man – Du meinst das jetzt provokant, oder?
    – Nein, ganz im Ernst.
    – Aber nein, du kannst mich nicht reinlegen.
    – Nein, nein, ich schwör’s.
    Ich hörte gelangweilt zu und bekleckerte mein Programmheft mit Mayonnaise.
    – Gut gelesen, sagte Robert, ein blonder, leicht schielender Musiker, zu mir. Er hatte sich große Mühe gegeben, die Lesenden des heutigen Abends während der Überleitungen in den Pausen durch minimalistisches Violinspiel zu unterstützen.
    Ich nickte kauend.
    – Wenn man nicht so viel von den üblichen Verdächtigen heraushören würde … Kafka oder … Haushofer … dann wäre dein Text richtig innovativ.
    – Unbedingt, sagte ich.
    – Wenn du deine Prosa … ohne die üblichen Wegweiser … sich ereignen lassen würdest –
    – Was?
    – Ich meine –
    In diesem Moment unterbrach ihn eine hohe Stimme. Ich erstarrte.
    – Hallo, so sieht man sich.
    Ich reichte Bernd die Hand und er befühlte sie. Auf seiner Wange klebte, wie ich mit Genuss feststellte, noch ein kleiner Rest vom Essen. Ein Kuchenkrümel. Jetzt gelang es mir, ein wenig zu lächeln.
    – Und, hat es Ihnen gefallen?, fragte ich.
    – Ja. Ja, schon.
    – Und wie hat Ihnen die Musik gefallen?
    – Also …
    Bernd deutete mit seiner Hand
so-la-la
. Robert starrte den Eindringling irritiert an.
    – Ach da, sagte Bernd und zeigte auf meine Unterlippe.
    – Was?
    – Du hast da was.
    Du
. Ich leckte über die Stelle.
    – Nein, nicht da.
    Ich leckte ein zweites Mal.
    – Ist es jetzt weg?
    – Nein, sagte er, warte …
    Und er wischte mit der unangenehm weichen Kuppe seines Daumens über mein Kinn. Eine quälende Sekunde lang spürte ich
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