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Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär

Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär

Titel: Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Autoren: Petros Markaris
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* 1
     
    »Können Sie uns erklären, Frau Kollegin, warum Sie dieses Thema gewählt haben?«
      Katerina trägt eine rote Bluse und ihre Lieblingsjeans. Ihre Kleidung wirkt vollkommen alltäglich. Den einzigen Unterschied macht die blaue Jacke mit der Brosche am Kragen, die sie speziell für diesen Anlaß angezogen hat. Auf ihrer Stirn glänzen Schweißperlen, sowohl vor Nervosität als auch wegen der schwülen Junihitze in Thessaloniki.
      »Weil ich glaube, Herr Professor, daß manche Aufgaben weder nur auf juristischer noch auf rein politischer Ebene zu lösen sind. Ich wollte aufzeigen, daß für das Problem des Terrorismus ein interdisziplinärer Ansatz notwendig ist.«
      Katerinas Blick ist auf die Professoren geheftet. Sie hält ihre Finger fest ineinander verschränkt, vielleicht um fahrige Bewegungen zu unterdrücken. Sie vermeidet es, den Blick in den Zuschauerraum zu richten, wo wir sitzen. Vermutlich fürchtet sie, vor lauter Aufregung den Faden zu verlieren.
      Wie viele Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet? Anfangs zählte ich nur die Jahre bis zum Diplom, vier, na ja, vielleicht auch fünf, falls sie bei einigen Prüfungen Anlaufschwierigkeiten hätte. Dann kam noch die Doktorarbeit hinzu, und es wurden acht Jahre daraus. Acht Jahre lang zählte ich immer wieder nach, ob sich mein Gehalt nicht vielleicht doch erhöht hätte, ich zählte nach, wieviel wir für Miete und Lebensunterhalt brauchten, für meine Kleider und Hemden, für Adrianis Schuhe, ich kam mit dem Nachzählen gar nicht mehr nach... Irgendwann begannen dann anstelle der Tausend- und Fünftausend-Drachmen-scheine Zwanzig- und Fünfzig-Euro-Scheine an mir vorbei-zudefilieren, doch das kümmerte mich wenig.
      Ich zählte nach und fragte mich, wie wir acht Jahre lang mit den Kosten von Katerinas Studium über die Runden kommen sollten.
      »Ist ein Tötungsdelikt im Rahmen einer terroristischen Tat juristisch gleichwertig mit einem, das im Zuge eines Eigentumsvergehens begangen wird?«
      »Und was fängt sie dann mit dem Studium an?« fragten mich die Kollegen im Polizeikorps. »Bei einem Sohn, okay. Er muß Karriere machen, weil er bald heiraten und eine Familie gründen wird. Aber bei einer Tochter? Schreib sie doch in die Polizeischule ein, dann kriegt sie eine Beamtenstelle auf Lebenszeit mit einem sicheren Gehalt. Und wenn sie nicht Polizistin werden will, dann schick sie in die Berufsschule und laß sie eine Lehre machen, dann kann sie was dazuverdienen.«
      Als ich ihnen erklärte, daß sie an der Juristischen Fakultät in Thessaloniki eingeschrieben sei, warfen sie mir seltsame Blicke zu, mit einer Miene, die besagen sollte, daß sie mich für eine Niete hielten, es aber wohlweislich nicht aussprachen. Ab und zu fragten sie, wie es Katerina gehe, wie das Studium vorankomme, wann sie ihren Abschluß mache. Als ich halbherzig und fast beschämt erzählte, daß sie nach dem Diplom noch den Doktor mache, verbreitete sich dieselbe Grabesstille wie fünf Jahre zuvor bei Erwähnung der Universität. Nur Tsavaras von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität meinte: »Da läßt du dich aber auf was ein...«
      »Wenn im einen Fall die politische Verzweiflung eines unterdrückten Volkes als Tatmotiv fungiert und im anderen Habgier, so handelt es sich zwar in beiden Fällen um dasselbe Delikt, doch könnte der Richter im Strafmaß eventuell eine Differenzierung vornehmen.«
      Ich werfe einen Blick zu Adriani, die drei Plätze weiter Platz genommen hat, weil sie vis-ä-vis von Katerina sitzen wollte, um sie besser sehen zu können. Sie hat sämtliche Schmuckstücke angelegt, die ihr von ihrer Mutter vermacht wurden, ihren Verlobungs- und ihren Ehering sowie die Halskette, die ich ihr zu Katerinas Geburt geschenkt habe.
      »Was ist in dich gefahren, daß du dich so herausputzt? Gehen wir vielleicht zu einem Empfang?« fragte ich sie, als sie fertig angezogen war.
      »Wenn ich den Schmuck nicht einmal heute tragen darf, da mein Kind Grund zum Feiern hat, wann dann? Höchstens noch einmal bei ihrer Hochzeit, und dann sperre ich alles in einen Tresor.«
      »Wie soll die Rechtsordnung dem Phänomen des Terrorismus begegnen?«
      Bei jeder neuen Frage zeichnet sich in Adrianis Gesicht Angst ab, und ihr Blick heftet sich auf ihre Tochter. Sie zittert - wie damals bei der Aufnahmeprüfung zur Universität - innerlich vor Furcht, Katerina könnte die Antwort nicht wissen und durchfallen. Ihre Hand krampft
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