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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Di Morrissey
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    Prolog
    Das Haus am Fluss
       
    Kindcaid 1953
    D er Fluss, wohl eine Meile breit, floss von der Stadt weg, gemächlich, spiegelglatt, matt glänzend wie altes Zinn. Mangroven säumten seine Ufer und schirmten die Vororthäuser ab, deren Gärten bis an den übel riechenden Sumpf reichten.
    Dieser Teil des Paramatta River wirkte verlassen, doch verborgen im Wurzelgewirr und Geäst an seinen Ufern nisteten Zugvögel und zogen ihre Brut auf, tauchten Wasservögel nach Nahrung. Während der Ebbe marschierten Armeen von Einsiedlerkrebsen, gekleidet in blau-beige Uniformen, in scharrenden, knirschenden Formationen über den Schlick, bevor sie im schieferfarbenen Schlamm verschwanden, begraben unter unzähligen kleinen grauen Bläschen.
    In der nachmittäglichen Stille unter den grauen Wolken und dem bleischweren Himmel bewegte nicht der kleinste Lufthauch die Blätter oder kräuselte die Wasseroberfläche. Dann war von der Biegung des Flusses her das rhythmische Schlagen von Rudern zu hören, als sich ein kleines Boot in diese wie gemalte Szene schob. Die Ruder wurden sauber und entschlossen durchgezogen, Tropfen fielen von den Ruderblättern herab und hinterließen eine Spur kleiner Kreise neben dem Boot.
    Das Mädchen im Boot war elf Jahre alt. Odette Barber war groß für ihr Alter, trug eine verblichene rote Wollhose, einen grünen Strickpullover und feste Ledersandalen an den nackten braunen Füßen. Ihre Haut hatte die Farbe dicker Sahne, ihre großen Augen schimmerten aquamarinblau. Wirre rote Locken standen um ihren Kopf wie eine Aureole.
    Sie hielt inne, ließ die Ruder schleifen und hob prüfend den Kopf. Ein Beobachter hätte meinen können, sie lausche einem unhörbaren Gesang, aber es war ein süßlicher Geruch, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein schwebender, schwacher Duft, der ihr vertraut vorkam, trieb auf sie zu und verflog wieder. Sie ruderte langsam weiter und hielt dann an. Diesmal war der Duft unverkennbar, er hing über dem Wasser, unsichtbar, aber süß und stark. Rosen.
    Odette tauchte das rechte Ruder ein und ließ das linke in der Luft hängen, während sie das Boot näher ans Ufer steuerte. Sie hielt auf eine Lücke in den Mangroven zu, wo sich ein dichter grüner Vorhang aus Bambus, Trauerweiden und raschelnden Kängurubäumen von dem wilden, natürlichen Dickicht am Flussufer abhob. Ein Landungssteg ragte ins Wasser, die dunklen, modrigen Pfähle wie verrottete Zähne. Am Ufer stand ein ehemals hübsches Bootshaus, jetzt verfallen und zusammengesunken.
    Furchtlos ruderte Odette zum Steg, zog die Ruder ein, kletterte die wackeligen Stufen hinauf und band das Boot an einem der Pfähle fest. Irgendwo in dem grünen Gewirr blühten Rosen. Der Herbst näherte sich, es mussten die letzten Rosen des Sommers sein. Wenn sie die Rosen fand, würde sie ihre Mutter damit überraschen. Odette wusste instinktiv, dass hier niemand lebte, denn die Stille und Verwahrlosung sprachen deutlich von Verlassenheit.
    Polternd lief sie über den Steg, übersprang die fehlenden Bohlen und lugte in das leere Bootshaus, in dem die Überreste eines kleinen Stechkahns an den von Spinnweben überzogenen Dachsparren hingen. Vom Bootshaus führte ein mit Steinplatten ausgelegter Weg in den Bambushain. Die hohlen Bambusstämme standen wie Wächter, und ihre grünfedrigen Spitzen berührten sich an die sechs Meter über ihr. Odette blieb in dem luftigen grünen Hain stehen, lauschte auf das raschelnde Seufzen und das musikalische Knacken in dem alten Bambus. Sie fühlte sich wie in einer schützenden grünen Unterwasserhülle.
    Der Bambushain, der den Anlegesteg abschirmte, öffnete sich auf einen terrassenförmig angelegten Garten. Dort, wo Odette stand, verdeckten Gebüsch und Bäume zusammen mit tropischen Pflanzen einen kleinen Felsvorsprung. Daneben befand sich einer der ersten Swimmingpools von Sydney. Eingerahmt von Sandsteinblöcken, strömte das tiefe, leere Rechteck einen durchdringenden Geruch nach vermoderten Blättern aus, die in der grünen, schleimigen Pfütze am Boden schwammen. Auf der anderen Seite standen zwei Badepavillons, die einst als diskrete Umkleidekabinen für die badenden Damen und Herren gedient hatten. Trotz des trostlosen Anblicks und des modrigen Geruchs blieb Odette stehen und stellte sich vor, wie elegant es einst ausgesehen haben musste: hellrosa Sandstein und kühles klares Wasser, auf einer Seite beschattet von den Bäumen, die es zum Fluss hin abschirmten. Sie stellte
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