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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Di Morrissey
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erkennen, also ging sie um das Haus herum auf die weiträumige Veranda, wo das Licht durch das hölzerne Gitterwerk auf die Marmorfliesen fiel.
    Schwere, von der Sonne ausgebleichte Vorhänge hingen vor den Glastüren und Fenstern, daher ging Odette weiter zur Rückseite des Hauses, an der ein Gewächshaus oder Wintergarten angebaut war, der sich an der ganzen Rückwand des Hauses entlangzog und im rechten Winkel seitlich um das Haus herumlief.
    Das Ganze wirkte wie ein merkwürdiger Glaszylinder, teilweise mit purpurfarbenen und violetten Glasscheiben versehen, so dass es aussah wie eine dicke braunrote Raupe, die sich an das Haus klammerte. Eine Tür aus Gitterwerk stand offen, und Odette trat ein.
    Einst hatten hier die ersten australischen Exemplare der »Saintpaulia« gestanden, entdeckt vom Baron von Saint Paul auf den Hängen der Usambaraberge in Tanganyika. Die winzigen zarten Blüten dieses kleinen afrikanischen Veilchens hatten einen Kontrast zu den auffallenderen und prächtigeren Orchideen gebildet, die entlang des ganzen Treibhauses wuchsen. Die Pflanzen waren längst verdorrt, nur ein paar zerbrochene Tontöpfe und Kästen zeugten noch von der wertvollen Sammlung. Das Licht, das durch das dicke, farbige Glas eindrang, verlieh der cremigen Haut des Mädchens einen bleichen, mauvefarbenen Schimmer und verwandelte den langen Gang in eine violett eingefärbte Welt. Der Boden war schwarz und weiß gefliest, und ihre Schritte hallten geisterhaft.
    Odette versuchte, leise zu gehen, während sie sich durch diese merkwürdige farbige Welt bewegte. Plötzlich, als sie an der Ecke zur Seitenfront anlangte, blieb sie stehen. Ihr Herz schlug schneller. Von ferne hörte sie Schritte, die auf sie zukamen. Sie machte sich zur Flucht bereit, da hörten die Schritte auf. Hatte sie sich das Geräusch nur eingebildet? Zwei weitere Schritte, und sie würde um die Ecke sein und vor Augen haben, was immer sich dort befand. Der Gedanke wegzurennen, wohl gar von jemandem gejagt zu werden, schien noch beängstigender zu sein. Vielleicht hatte sie es sich ja wirklich nur eingebildet. Sie wartete eine Sekunde, holte tief Luft und ging um die Ecke.
    Ihr Herz wollte stehen bleiben, und sie schlug die Hände vor den Mund, als sie direkt vor sich einen Jungen sah, der ebenso vorsichtig wie sie auf Zehenspitzen den Gewächshausgang hinunterkam.
    »Wer bist du?«
    »Was machst du hier?«
    Sie sprachen beide gleichzeitig, dann traten sie zurück, um einander zu mustern.
    Der Junge sah zwei aufgerissene, ängstliche, türkisblaue Augen, ein bleiches, vom einfallenden Licht violett überschattetes Gesicht mit zwei hellroten Flecken auf den Wangen und eine Wolke rostfarbener Locken. Sie erinnerte ihn an ein erschrecktes, fluchtbereites Reh.
    Odette sah einen Jungen, der nicht viel älter war als sie, mit weichem braunem Haar, das ihm in die Stirn fiel, gefleckten haselnussbraunen Augen und Sommersprossen auf der kleinen geraden Nase.
    Nachdem sie einmal den Schreck überwunden hatten, hier auf einen anderen Menschen zu stoßen, fühlten sie sich beide nicht mehr voneinander bedroht, und Neugier trat an die Stelle der Überraschung.
    »Warum bist du hier?«, fragte der Junge.
    »Ich schau mich nur um. Und du?«, wollte Odette wissen, entschlossen, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.
    »Ich wohne hier.«
    »Hier? Das Haus sieht verlassen aus.«
    »Nein, nicht im Haus. Mein Vater und ich wohnen in einem der Cottages hinten bei der alten Molkerei. Er ist der Verwalter und kümmert sich um alles.«
    »Ach so.« Sie wollte nicht sagen, wie ungepflegt es ihr hier vorkam.
    Der Junge lächelte zurückhaltend. »Ich hab mich auch umgeschaut. Ich komm oft hierher. Das Haus und der Garten – die sind interessant, nicht?«
    »Es ist so anders. Ich wusste nicht, dass es das hier gibt.«
    »Wie bist du hergekommen?«
    »Ich bin auf dem Fluss gerudert und habe die Rosen gerochen, also hab ich am Steg angelegt. Es sah so … einladend aus.«
    Seite an Seite gingen sie durch das Gewächshaus.
    »Ja, das stimmt. Es hat etwas …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »… etwas Besonderes an sich. Hast du das indische Haus schon gesehen?«
    Odette schüttelte den Kopf. Als sie aus der Tür des Glastunnels traten, nahm der Junge die Rolle des Führers an. »Das ist alles original indisch. Komm mit. Wir gehen durch die Ställe … die sind sogar schicker als unser Haus. Die müssen hier früher tolle Pferde gehabt haben.«
    Odette beeilte sich, um
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