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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Di Morrissey
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ein kleiner Samtbeutel. Dean nahm ihn heraus und gab ihn Odette, die ihn vorsichtig öffnete.
    Ein kleiner, länglicher, grauer Stein und ein winziges Fläschchen glitten heraus.
    Das Fläschchen bestand aus tintenblauem Glas mit eingeritzten Blumen. Der Stöpsel war aus Silber, graviert mit Ranken und Blüten. Sie schraubte den Stöpsel ab und roch an dem leeren Fläschchen. »Rosen. Es muss Parfüm enthalten haben.«
    »Ich hab mir die Papiere angesehen, es scheinen Pläne vom Haupthaus zu sein. Zeichnungen und Maßangaben und so. Ganz interessant.«
    Odette drehte das Fläschchen langsam in der Hand um. Sie hatte noch nie etwas so Kunstvolles gesehen.
    »Was mag das wohl sein?« Der Junge befingerte den grauen Stein.
    »Keine Ahnung. Wir sollten das wohl besser zurücklegen.« Widerstrebend gab sie Dean das Fläschchen, der den Stein wieder einwickelte und beides zusammen in den Beutel tat.
    »Es könnte Unglück bringen, das mitzunehmen.«
    Odette nickte und sah hinauf zum Fenster. Der Sonnenuntergang näherte sich. Sie musste nach Hause.
    Dean begleitete sie zum Anlegesteg.
    »Was wird mit alldem hier geschehen? Wem gehört es?«
    Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Niemand scheint es zu wissen.«
    »Darf ich wiederkommen?«
    »Ich denk schon. Aber lass dich nicht von meinem Vater erwischen. Niemand darf das Gelände betreten. Nicht mal ich.«
    »In Ordnung. Ich sehe zu, dass ich nächste Woche wieder das Ruderboot haben kann. Am Freitag nach der Schule.«
    »Gut. Bis dann.« Er schaute zu, wie sie das Boot in die Flussmitte steuerte, bevor er sich durch den Garten zurück in das Verwalterhaus am anderen Ende des Grundstücks schlich.
    Odette ruderte nach Hause, gefangen in einer Traumwelt, in der sie in einem solchen Haus voller Wunder lebte. Beim Abendessen konnte sie nicht mehr an sich halten und platzte mit ihrer Geschichte über das unglaubliche Haus am Fluss heraus.
    Ihre Mutter hörte lächelnd zu, während sie ihr von der Fleisch- und Nierenpastete auftat. »Du und deine Geschichten, Detty! So viel Phantasie.«
    »Aber das ist nicht erfunden, Mum! Da ist ein riesiges Haus. Über der Eingangstür steht
Zanana

    Ihr Vater häufte sich Erbsen auf den Kartoffelbrei. »Ich hab davon gehört. In der Nähe von Cuddys Haus führt ein breiter Privatweg von der Hauptstraße dorthin. Aber er ist gesperrt. Du solltest da nicht hingehen, Liebes. Das ist unbefugtes Eindringen, weißt du. Du könntest Ärger bekommen.«
    »Wenn dir dort etwas zugestoßen wäre, hätten wir dich nie gefunden«, fügte ihre Mutter hinzu und zauste ihr das Haar. »Edelsteine im Baldachin, also wirklich. Ich würde niemandem davon erzählen, Schätzchen. Heb’s dir für eine der Geschichten auf, die du so gerne schreibst.«
     
    Dean antwortete seinem Vater ausweichend auf die Frage, wo er den Nachmittag über gewesen sei.
    »Deine Arbeit hast du auch nicht gemacht. Ich musste die Schweine selbst einsperren.«
    »Tut mir leid, Dad.«
    Schweigend aßen sie weiter, der Vater betrachtete seinen Sohn und dachte, wie sehr er doch seiner Mutter ähnelte, an die sich der Junge nicht erinnern konnte.
    »Du warst doch hoffentlich nicht drüben beim großen Haus. Du weißt, dass das verboten ist. Ich will nicht, dass du dorthin gehst.«
    »Aber warum, Dad?«
    »Es ist voll schlechter Erinnerungen und hat allen nur Unglück gebracht. Je eher du von hier wegkommst und dir deinen eigenen Platz in der Welt schaffst, desto besser. Du wirst Zanana vergessen.« Er hatte schärfer gesprochen als beabsichtigt, denn der Junge hörte auf zu essen und sah ihn mit verletztem Blick an. »Mach deine Hausaufgaben fertig, damit du einen guten Job kriegst und später deinen alten Vater versorgen kannst«, fügte er barsch hinzu.
    Der Junge stand auf und räumte das Geschirr ab.
    »Nun lauf schon, ich spüle heute das Geschirr. Mach deine Hausaufgaben fertig, dann kannst du danach das Hörspiel im Radio hören.«
    »Oh, prima! Danke, Dad.« Pfeifend lief er davon.
    Sein Vater blieb noch einen Moment am Tisch sitzen, dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen. »Das verdammte Haus«, murmelte er vor sich hin. »Verflucht seien sie alle!«

[home]
    I
    Die Vergangenheit – Kate
Die Gegenwart – Odette
       

Kapitel eins
    Zanana 1899
    D ie Nachmittagssonne blinkte in einem der oberen Fenster und spiegelte die stämmigen Eichen und Fichten in der Scheibe wider. Die irisierende Landschaft verschwamm, als der Spitzenvorhang wieder
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