Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
als Ladenbesitzer, betrieben Spielsalons, Glücksspielhäuser und Opiumhöhlen oder hatten Wäschereien und Gärtnereien eröffnet.
    Da er sich einsam fühlte und auch neugierig war, hatte sich Robert eines Tages in den raucherfüllten Schatten hinter dem Schuppen von Wing Ons Wäscherei geschlichen und entdeckt, dass hier schlitzäugige Frauen lethargisch ihre Röcke hoben und ihre Körper jedem Mann darboten, der den geforderten Preis bezahlte. Aber der Anblick, die Geräusche und Gerüche hatten ihn abgeschreckt, und er hatte sich rasch zurückgezogen, da er es weder für den richtigen Moment noch die angemessene Art hielt, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Dieses Geheimnis konnte noch warten.
    Im Hinterkopf behielt Robert das flüchtige Bild einer schönen, blondhaarigen Frau, hübscher, lachender Kinder und einer großen Villa am Ufer eines rauschenden Flusses. Diese Vorstellung entsprang einer anderen Welt, dem Leben anderer Menschen, in Büchern erschaut und nur in seinen Träumen lebendig. Er nahm sich fest vor, dass er all dies erreichen und an die Seinen vererben würde … eines Tages.
    Robert war verschiedentlich am Chinesenlager vorbeigekommen und hatte einen neu angelegten Gemüsegarten bemerkt, der von einem Chinesenjungen in seinem Alter bearbeitet wurde. Als er sich an diesem Tag näherte, sah er, dass sich eine Menschenmenge um den Gemüsegarten versammelt hatte. Eine rüde Prügelei war im Gange, und er eilte rasch hinzu. Der Chinesenjunge schien gegen einen bulligen Goldgräber zu verlieren, einen rothaarigen Iren, den Robert schon bei diversen Kneipenschlägereien gesehen hatte. Gemüse war aus dem Boden gerissen worden, und der Junge stolperte über einen dicken Kohlkopf. Der Ire warf sich mit Triumphgeheul auf seinen viel kleineren Gegner.
    »Was ist denn da los?«, fragte Robert den neben ihm stehenden Mann.
    Der füllige Bursche zuckte die Schultern. »O’Mally glaubt, das Schlitzauge hat Gold unter dem Gemüse vergraben.«
    »Wessen Gold?«
    »Ach, Junge, wen kümmert das – Hauptsache, es gibt einen ordentlichen Kampf.« Er wandte sich wieder O’Mally zu, der auf den Chinesenjungen einprügelte.
    Robert warf sich dazwischen. Er schnappte sich eine Schaufel und schmetterte sie dem wild gewordenen Iren auf den Schädel, der daraufhin wie ein gefällter Baum zu Boden ging. Der Menge brüllte und johlte. O’Mally rieb sich den Schädel und schaute zu dem stämmigen Schotten auf, der drohend die Schaufel schwang.
    »Wenn du den Kampf beenden willst, dann beende ihn mit mir«, knurrte Robert.
    Der Ire war müde und schätzte rasch Roberts Wut und seine Stärke ein. »Ach, steck’s dir sonst wo hin, Kumpel, mit dir hab ich doch nichts zu schaffen.« Er kam taumelnd auf die Füße und deutete auf den zusammengeschlagenen, blutenden Chinesenjungen. »Nächstes Mal grab ich dein ganzes verdammtes Feld um und schlag dir den Schädel ein.«
    Als die Menge hinter O’Mally wieder zur Stadt hinunterstolperte, half Robert dem Jungen hoch. »Alles in Ordnung?«
    »Wie seh ich aus?«
    »Ziemlich jämmerlich.«
    »So fühl ich mich auch. Danke. Ich steh in deiner Schuld. Mein Name ist Hock Lee«, sagte der Junge mit einer sanften Singsang-Stimme und streckte Robert die Hand hin. Die Männer schüttelten sich die Hand.
    »Ich bin Robert MacIntyre. Worum ging’s denn hier?«
    »Ich weiß es nicht genau. Die haben unten am Bach gesoffen, und dann kamen sie hierher, während ich im Garten arbeitete, und haben behauptet, ich hätte ihr Gold gestohlen und es vergraben. Ich glaube, die waren nur auf eine Prügelei aus. Diesmal war eben ich der Prügelknabe.« Sie wandten sich dem Lager zu, Hock Lee humpelte steif neben Robert her. »Auf uns wird ständig rumgehackt. O’Mally hasst uns ganz besonders. Beim letzten Mal hat er versucht, unseren Tempel abzubrennen. Behauptete, wir würden mit der Asche unserer Toten Gold nach China zurückschmuggeln. Einmal haben sie Dynamit in die Feuerwerkskörper gesteckt, mit denen wir unser Neujahr feiern. Das Verrückte ist, dass ich noch nie nach Gold gegraben habe – mein Vater führt den Gemischtwarenladen, und ich helfe ihm dabei.«
    Robert gefiel dieser Hock Lee. Er hatte mit niemandem seines Alters mehr geredet, seit er nach Wattle Flat gekommen war. »Du sprichst ein sehr gutes Englisch. Wo kommst du her?«
    »Aus Sydney. Meine Mutter und mein Vater sind vor Jahren aus Kanton nach Australien gekommen, da war ich noch klein. Eine lange Geschichte … aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher