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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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    Sie wollten unbedingt einen Kopfschuß. Deshalb hatten sie Clairon kommen lassen. Er war Spezialist für Kopfschüsse.
    Ich weiß nicht, was Manuel Aranda getan hat, dachte Clairon. Das sagen sie einem ja nie. Ich weiß nur, daß sie Manuel Aranda tot haben wollen, und zwar schnell. Sobald das erledigt ist, darf ich wieder heim zu Janine. Janine war Clairons fünfjährige Tochter. Er liebte sie mehr als alles andere auf der Welt. Vor zwei Jahren war seine Frau gestorben. Er hatte auch seine Frau geliebt, aber nicht so sehr wie Janine. Bei dem kleinen Mädchen war er völlig von Sinnen. Tags zuvor hatte er in einem Spielwarengeschäft einen niedlichen scharlachroten Fuchs mit schwarz-weißer Schnauze gekauft, der eine Schnur besaß. Zog man an ihr, dann ertönte silberhell die Melodie einer kleinen eingebauten Spieluhr: ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen!‹
    Clairon brachte Janine stets Stofftiere oder Puppen mit, wenn er zurückkam. Sie besaß schon eine ganze Sammlung. Er dachte an das Kind und lächelte.
    Sie hatten ihm Manuel Aranda gezeigt, als dieser das Hotel ›Ritz‹ am Kärntner-Ring verließ und in den gemieteten blauen Mercedes stieg; als er das Gerichtsmedizinische Institut in der Sensengasse betrat; auf verschiedenen Straßen; vor dem Sicherheitsbüro der Polizeidirektion in der Berggasse. Sie hatten ihm Fotografien und mit versteckten Kameras aufgenommene farbige 8-Millimeter-Filme gezeigt, denn er sollte in aller Ruhe Wuchs und Gestalt, Kopfform, Gangart, Bewegungen und Eigentümlichkeiten seines Mannes studieren. Die Bilder und die Filme waren mit dem gleichen Flugzeug eingetroffen wie Manuel Aranda. Derartiges Tempo, derartige Hektik und Nervosität hatte Clairon noch bei keiner seiner Missionen erlebt. Jede Stunde, die Manuel Aranda lebte, schien eine tödliche Gefahr darzustellen. Muß eine schlimme Sache sein, dachte Clairon. So verrückt haben sie noch nie gespielt.
    Jetzt, im Januar, herrschte mörderische Hitze in Buenos Aires. Die Filme zeigten Manuel Aranda auf den Straßen seiner Heimatstadt stets mit Panama-Hüten. Auf den Straßen Wiens lief er stets mit einer Pelzmütze herum. Gewiß fror er ebenso wie Clairon. Der hatte sich auch eine Pelzmütze gekauft, gleich nach der Ankunft.
    Kopfschuß bei bedecktem Kopf also. Mir soll’s recht sein, dachte Clairon. Ich hatte schon andere Kunden mit Mützen. Auch solche mit Hüten oder Kappen, einen sogar mit Stahlhelm. Es klappte noch immer. Man muß ein wenig genauer arbeiten, das ist alles.
    Als der blaue Mercedes in die vereiste Allee einbog, benötigte Clairon knappe eineinhalb Sekunden, dann hatte er die vordere Nummerntafel des Wagens im Fadenkreuz. Das Kennzeichen stimmte. Clairon las es bedächtig. Er war ein sehr bedächtiger Mann geworden, seit sie ihn zum Tod verurteilt hatten. Bedächtig und konservativ. Sieben Jahre schon bewohnte er dasselbe Haus in Anfa, einem der eleganten Villenviertel von Casablanca, die westlich des Parc Lyautey liegen und sich bis zum Meer hinunter ausdehnen. Sieben Jahre schon besuchte er die gleichen Restaurants, Friseursalons und immer das gleiche türkische Bad in dem noch von hohen Mauern umgebenen arabischen Altstadtteil Medina; hielt er dem gleichen Schneider, dem gleichen Hemdenmacher und dem gleichen Briefmarkenhändler die Treue; dem gleichen Zahnarzt, der gleichen Kirche und der gleichen Waffe – dem deutschen Modell 98 k, System Mauser, Kaliber 7,9 Millimeter, Patronenlänge 75 Millimeter, Gewehrlänge 1110 Millimeter, Ladestreifen mit fünf Schuß, aufgesetztes Zielfernrohr. Dieses inklusive wog die Waffe nur 4,2 Kilogramm, der Rückstoß war leicht, sanft konnte man fast schon sagen, das Repetieren ging blitzschnell, und Clairon hatte seine 98 k auf eine Entfernung von 150 Metern eingestellt. Der Lauf des Gewehrs ruhte neben dem linken Fuß eines weinenden Engels.

2
    Zu diesem Zeitpunkt, um 14 Uhr 43 am 16. Januar 1969, einem Donnerstag, gab es in dem 1874 von der Gemeinde Wien eröffneten Zentralfriedhof auf einer Fläche von 2 459 508 Quadratmetern 329 627 Grabstätten. Clairon hatte die Verwaltung angerufen und sich erkundigt; er wollte wissen, wie groß der Ort war, an dem es geschehen sollte. Eine enorme Zahl von Gräbern hatte man seit der Jahrhundertwende bereits mehrfach wieder aufgelassen und zum zweiten-, dritten- oder viertenmal neu belegt. In einer Stunde würden es 329 629 Gräber sein, denn an diesem Nachmittag fanden, wie Clairon einer Informationstafel beim Hauptportal
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