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Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär

Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär

Titel: Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Autoren: Petros Markaris
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»Heute stehen sie Schlange, um teures Geld dafür zu bezahlen. Das nenne ich Fortschritt.«
      Ein Bravo den Deutschen, die es geschafft haben, von der Beschlagnahme zur Miete überzugehen, sage ich mir. Denn wir tun seit der Gründung des griechischen Staates stets dasselbe: Wir vermieten eine Wohnung oder verpachten einen Laden, einen Acker oder eine Lagerhalle und halten uns mit den Einkünften daraus über Wasser. Olympic Airlines fliegt mit gemieteten Flugzeugen, Taxibesitzer vermieten ihre Wagen an Taxifahrer und Busunternehmer ihre Fahrzeuge an die Fernbuslinie ktel. Und auch der Durchschnittsgrieche lebt von Mieteinnahmen und Krediten.
      Der Eßtisch gehört zur alten Garde, mit Politur und geschwungenen Beinen, die in breiten Tischfüßen enden. Er ist gedeckt wie in den französischen Filmen über die Bourgeoisie: weißes Tischtuch, weiße Damastservietten, zwei Gedecke und zwei Bestecke sowie drei Gläser, ein kleines, ein mittelgroßes und ein sehr großes. Das große und das mittelgroße identifiziere ich als Wein- und Wasserglas, doch das kleine bleibt mir ein Rätsel, bis mir Prodromos Ousounidis die Lösung verrät.
      »Hieraus trinken wir zuerst einmal einen Tsipouro, Kostas, und dann machen wir mit Wein weiter«, erklärt er und füllt mein Gläschen.
      Ich erhebe es und stoße auf Katerinas Erfolg an. Dann trinke ich es halbleer, wobei es im Rachen wie Feuer brennt. Ich lasse noch Platz für ein Glas Wein während des Essens, das mit Artischocken in Zitronensoße und einer Wildkräuterpastete beginnt und mit Lamm in Weinblättern und Reis endet.
      »Die Weinblätter und die Frühlingszwiebeln für die Artischocken stammen aus unserem Garten«, fügt Prodromos hinzu.
      Ich blicke in die fünf Gesichter, die um den Tisch versammelt sind. Mit Ausnahme von Katerina und Fanis hat das Wort »Doktorat« für alle eine diffuse Bedeutung. Ich bin stolz darauf, weil das Doktorat Katerina helfen wird, es zu etwas zu bringen. Adriani sieht, daß ihre Tochter mit »sehr gut« bewertet wird, und ist stolz auf ihren Erfolg. Aber genauso stolz war sie, als Katerina das Lyzeum mit »sehr gut« abschloß. Prodromos und Sevasti betrachten Katerina als künftige Schwiegertochter und erwerben so das Recht, mit uns zusammen ihren Erfolg zu feiern. Was die Promotionsurkunde betrifft, so wissen wir nur, daß es eine Art Wertpapier darstellt, das über das Diplom hinausgeht. Und das reicht uns schon. Griechenland ist eine riesige Börse, wo alle mit ihren Papieren handeln, vom Aktienpaket bis zum Universitätsdiplom, vom Masterabschluß bis zur Promotion.
      Damit sichert man sich Positionen und erwirtschaftet sich Gehaltszulagen, ohne daß irgend jemand weiß, worin ihr tatsächlicher Wert eigentlich liegt. So kann man sich mit einem Juradiplom auf der Sternwarte und mit einem Physikabschluß bei der Polizei wiederfinden. Wie an der Börse handelt man einfach mit seinem Papier.
      Es ist schon nach fünf, als wir aufbrechen. Das Essen und der Tsipouro schläfern mich ein und ich döse an Adrianis Seite vor mich hin, während ich in der Ferne Katerinas und Fanis' flüsternde Stimmen höre, die sich auf den Vordersitzen miteinander unterhalten. Als wir beim Cafe Levendis anlangen, schlägt Fanis vor, eine Kaffeepause einzulegen, da er fürchtet, daß ihm sonst die Augen zufallen.
      Ich weiß nicht, was mich veranlaßt, mitten im Cafe, wo sich vor den Kassen Schlangen gebildet haben, Kinder kreischen und Eltern sich mit vollen Tabletts bewehrt auf leere Tische stürzen, Katerina plötzlich zu fragen: »Wann wirst du dich als Richterin bewerben?«
      Adriani und Fanis haben nicht erwartet, daß ich nach fünfstündiger Reise mit eingeschobenem Gelage in Volos eine solche Frage stelle, und blicken mich erstaunt an. Katerina hingegen wirkt eher verlegen. Etwas liegt ihr auf der Zunge, und sie sucht nach einem Weg, es mir auf die sanfte Tour beizubringen.
      »Petropoulos, der Professor für Strafrecht, hat mir vorgeschlagen, in seine Forschungsgruppe einzutreten«, sagt sie schließlich. »Er stellt mich als wissenschaftliche Mitarbeiterin ein. Sobald eine Lektorenstelle ausgeschrieben wird, könnte ich mich bewerben.«
      Diese Nachricht wirkt auf mich wie eine kalte Dusche.
      Wenn der erste Teil des Traums der Erwerb des Doktortitels war, so bildete den zweiten und längerfristigen der Wunsch, sie als Richterin den Vorsitz führen zu sehen, während ich stolz im Publikum sitze. Das hatte ich
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