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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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dunkel. Seine Frau musste bereits ins Bett gegangen sein.
    Scham empfing ihn, vermischt mit frischer Luft, als er aus der Toilette trat. Sinnlose Vergeudung vonKraft. Er schwitzte. Er fühlte das Alter in seinen Knochen und knackte mit den Fingergelenken. Irgendwann würde er noch auseinanderbrechen wie altes Brot.
    Er fand seine Frau schlafend, quer über beide Seiten des Betts. Der Anblick war komisch, andererseits ärgerte es ihn, dass sie nach so vielen Jahren noch immer nicht die einfachsten Begrenzungslinien verinnerlicht hatte. Er begann, an ihren Beinen zu ziehen, dabei stellte er fest, dass sie Krampfadern hatte, und er erschrak davor, ohne genau zu wissen, warum. Er brauchte eine Weile, bis er den richtigen Griff gefunden hatte, dann ging alles ganz leicht und er hievte die Beine seiner Frau auf ihre Betthälfte zurück. Bestimmt war sie davon aufgewacht, aber das war ihm egal. Sie hatte ihr Stichwort schon verpasst, sie würde nichts mehr sagen.
    Templ legte sich hin und betastete durch den Stoff sein Glied, das sich ein wenig wund anfühlte. Er trug immer noch seine Hose und das Hemd. Egal, dachte er. Ich bin nicht schuld. Aber schuld woran? – das spielte keine Rolle mehr.
    Sein schlaftrunkenes Gehirn zeigte, wie jeden Abend, eine Zusammenfassung der vergangenen Ereignisse und fügte ein paar erstaunliche Details hinzu. Ein Glasauge im Schnabel eines Vogels, der aus einer Kuckucksuhr heraussprang. Ein Sortiment Golfschläger, die die Köpfe zu vertraulichen Beratungen zusammensteckten. Mäuse, die in einem Briefkasten verschwanden. Ein Keyboard, das nur aus der Ziffer 3 bestand …
    Den Schauspielern und Komparsen des vergangenen Tages sagte er die Dinge, die er hätte sagen wollen,er formulierte neu, versuchte es mit anderen Tonfällen und Gesten. So lange, bis er alle, denen er bei Tageslicht nicht gewachsen war, in die Knie gezwungen hatte. Und wie sie sich nun alle bei ihm entschuldigten, einer nach dem anderen – er badete in der Bestätigung seiner heimlichen Überlegenheit. Er war redegewandt, er besaß Geschmack, er war mächtig. Und er war ein anständiger Mensch. Alle entschuldigten sich bei ihm und waren froh, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.
    Dann fühlte er plötzlich einen Sog nach unten, er drohte zu fallen, er fiel, sein Kopf fiel nach hinten – er schreckte hoch. Manchmal erwies sich die Schwelle des Einschlafens als gefährlicher, als man dachte. Mitten in einer federleichten Balance-Fantasie konnte man von einem Motorrad, das über ein gespanntes Seil lief, abgleiten, nach links … Oder der Rand eines Gehsteigs entpuppte sich als die steile Wand eines Canyons … Er blinzelte, um sich zu beruhigen. Dann rollte er sich auf die andere Seite. Der Atem seiner Frau ging regelmäßig, also war er ganz allein im Zimmer. Verlassen.
    Er setzte sich im Bett auf. Das ungesunde Licht im Nachbarhaus lehnte von außen an den Vorhängen. Die Nachbarn ließen oft nächtelang alle Lichter brennen. Merkwürdige Familie. Der Vater ständig besoffen. Und die Mutter geht oft mitten in der Nacht mit dem Hund spazieren.
    Die Anstrengung in der Toilette hatte ihn aufgeregt. Er würde bestimmt lange wach liegen. Also war es wohl das Klügste, er stand gleich auf und beschäftigte sich mit irgendwas. Seltsam, dass in der Nacht jede Betätigung, jeder Zeitvertreib einen Hauch von Gesetzesübertretung besaß. Templ überlegte in derDunkelheit, was er tun konnte. Er könnte weiter an seinem Artikel über die unerforschte Verwandtschaft zwischen Kohärenz und Mitleid arbeiten. Aber einen Teil davon in der Nacht zu schreiben, während der Hauptteil am Tag verfasst worden war, in hellen, konzentrierten Mittagsstunden, würde dem Werk eine traumdeuterische Schwäche geben. Alles in der Nacht Geschriebene richtete sich, wenn man es nur gewähren ließ, gegen Logik und Wissenschaft.
    Vielleicht irgendeine mechanische Arbeit. Etwas schnitzen vielleicht. Er lächelte über diesen Einfall. Einmal, als Kind, war er gar nicht so schlecht gewesen in diesem Metier. Eine kleine Mondkatze, ein grimmiger Zwerg, ein weidendes Reh. Wo waren eigentlich all seine Figuren geblieben? Vermutlich faulten sie auf dem Dachboden dahin.
    Irgendein Spiel? Ein Puzzle zusammenlegen? Langweilig. Die Dartscheibe im Keller montieren? Vielleicht. Er setzte die Füße auf den kalten Schlafzimmerboden, um zu sehen, wie sich dieser Gedanke anfühlte. Ja, das konnte er versuchen.
    Würde er jemanden aufwecken, wenn er den Nagel
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