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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Schaukelstuhl, Kamin, Decke, Enkelkinder, Falten, keine Haare und Lebensabend ein.
    Ich mag an alten Menschen nicht, wenn sie spießig und selbstgerecht sind. Von wegen: Ich bin alt und deshalb weiß ich alles besser! Ständiges Genörgel und Gemecker, und wenn sie immer wieder die gleiche Geschichte erzählen.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie so einen coolen Blick haben, der Zufriedenheit ausstrahlt, eine gewisse Weisheit und dem Einverstandensein, bald sterben zu müssen.
    Wenn ich ganz plötzlich mein Heim verlassen müsste, würde ich Gitarren mitnehmen. So viele ich tragen kann.
    Mit über 80 sehe ich mich im Sarg.
    Oder als weiser, alter Mann im Schaukelstuhl, der lächelt wie der Dalai Lama.

Kapitel 4
     
    Ich weiß noch, wie mir völlig unsinnige Dinge durch den Kopf geschossen sind. »Den Fußpflegetermin kannst du jetzt auch knicken. Die Briefe musst du morgen beim Frühstückvorbereiten diktieren. Du hast vergessen, die Sojajoghurts für Mira einzukaufen. Das ist dir noch nie passiert.«
    Während ich das dachte, starrte ich angespannt auf die Straße und fuhr einfach weiter.
    »Du hast hoffentlich dein Täschchen mit Portemonnaie und Chipkarte dabei?«
    Ich zuckte zusammen. Ich hatte für einen winzigen Augenblick seine Gegenwart verdrängen können. Portemonnaie. Chipkarte. Er will Geld. Ein Ansatz von Erleichterung machte mir das Atmen wieder leichter.
    »Habe ich«, krächzte ich mühsam.
    »Braves Mädchen. Wo?«
    »Neben mir.«
    Ich griff mit der linken Hand routiniert ins Seitenfach der Tür, aber er brüllte sofort los: »Finger weg! Das mache ich!«
    Ich gehorchte und krallte mich mit beiden Händen am Lenkrad fest. Dabei spürte ich, wie er näher rückte. Er roch nach Nikotin und einem penetranten Weichspüler.
    Sein rechter Arm fuhr um mich herum. Mit dem Linken stieß er mir etwas Metallenes in die Rippen. Dabei hing sein Kopf über meinem Busen. Ich war gezwungen, sein Haar zu riechen. Er musste es länger nicht gewaschen haben. Ich brauchte alle Selbstbeherrschung, um stillzuhalten und weiterzufahren. Warum dauerte das so entsetzlich lange? Worauf wartete er? Sollte er die Tasche und das Geld doch nehmen und sich damit auf und davon machen.
    Er hob seinen Kopf, aber sein Arm umspannte mich weiterhin. Ich spürte seinen Blick und sah starr geradeaus.
    Dann bewegte er seinen Arm. Er fuhr mit der Hand über meine Brüste. In einer ekelerregenden Langsamkeit, regelrecht andächtig streichelte er mir über den Unterleib und verweilte auf dem rechten Oberschenkel. Dabei gab er eine Art Grunzgeräusch von sich und stierte mich wieder an. Sein Atem streifte mein Gesicht.
    »Was hast du da für heiße Klamotten an? Hast du auch die passenden Stiefel dabei? Vielleicht sollten wir nach dem Geldabheben noch einen kleinen Umweg machen. Du wolltest doch zum Reiten, Schätzchen?«
    Endlich ließ er mich los. Was hieß nach dem Geldabheben? Ich würde ihm meine Geheimnummer geben. Kein Problem. Er sollte sich das Geld holen. Bitte sehr. Nur endlich verschwinden. Mich nicht mehr anstarren oder anfassen. Das wollte ich ihm sagen. Aber die Vorstellung, dass dieser schmierige Typ mehr von mir wollte als Geld, ließ mich keinen Ton hervorbringen. Ich hatte nur Angst. Eine scheiß Angst. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, wie ich mich verhalte, wenn mir eine Vergewaltigung droht. Ich hatte sogar mit Mira ein dementsprechendes Seminar besucht. Fazit: Man sollte keine Angst zeigen. Angst gibt dem Angreifer Macht. Sie geilt ihn womöglich auf. Aber wie schafft man es, keine Angst zu zeigen, wenn man von diesem kleinmachenden Gefühl halb tot ist?
    »Erst das Geschäft«, hörte ich wieder seine Stimme. Ganz selbstsicher. Völlig überzeugt, als wäre zwischen uns eine Vereinbarung getroffen. Als hätte ich keine Einwände hinterher mit ihm im Auto … Mir wurde schwindlig.
    »Nächste rechts abbiegen«, kommandierte er.
    Ich setzte den Blinker, drehte mechanisch meinen Kopf und schaute rechts über meine Schulter. Da sah ich ihn zum ersten Mal an. Ich konnte einen entsetzten Aufschrei nicht unterdrücken. Der Mann war unbeschreiblich hässlich. Nein, erst verzögert begriff ich, das war nicht sein Gesicht. Er trug eine Maske. Seine Augen hielten durch enge Schlitze meinem Blick höhnisch blitzend stand. Bevor ich wegschauen konnte, streckte er mir durch die Öffnung des breit grinsenden Gummimundes die Zunge heraus und ließ sie obszön kreisen.
    Mein Gesicht brannte, als hätte er mich damit berührt.
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