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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Verzweifelt starrte ich wieder auf die Straße. Sie schien nur noch aus roten, flirrenden Pünktchen zu bestehen. Dann wurde mir schwarz vor Augen. In dem Augenblick begann sich etwas zu verändern. Die Angst lockerte ihre Umklammerung. Ein Hauch meiner alten Courage kehrte zurück. Sie rüttelte mich auf: Jetzt bloß nicht ohnmächtig werden. Reiß dich zusammen! Sonst hast du gar keine Chance mehr. Und der Kerl kann mit dir machen, was er will.
    Der Wagen kam ins Schleudern. Die Reifen quietschten. Seine Hand griff in das Lenkrad. Die schwarze Farbe verschwand. Ich konnte wieder sehen.
    Entschlossen wischte ich seine Hand beiseite. Er ließ es ohne Gegenwehr geschehen. Ich weiß noch, wie mich das verwundert hat. Auch, dass keine Aggression von seiner Seite mehr zu spüren war, sondern Angst. Ich gab mir einen Ruck und sah noch einmal zur Seite.
    Er war in die äußerste Ecke gerückt und starrte mich aus seinen Augenschlitzen an.
    »Fuck!«, keuchte er. »Fuck! Was bist du für eine?«
    Dabei hörte er sich an wie ein heulendes Kind.
    »Halt an. Sofort.« Das war kein Befehl, das war ein winselndes Betteln.
    Ich gehorchte, ohne eine Frage zu stellen. Ich würde ihn gleich los sein. Nur das zählte.
    Er öffnete mit zitternden Händen die Beifahrertür. Ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, schlängelte er sich wie ein Aal aus dem Wagen, rappelte sich draußen hoch und hastete stolpernd davon.
    Ich sah ihm nicht hinterher. Ich fuhr auch nicht weiter. Ich saß nur da. Keine Ahnung, wie lange. Irgendwann drang das Hupen eines vorbeifahrenden Autos in mein Bewusstsein. Der Fahrer schüttelte fassungslos den Kopf, als er an mir vorbeifuhr. Ich realisierte, dass ich auf einer schmalen Straße stand und in zweiter Reihe parkte. Ich konnte die Empörung des Mannes verstehen. Hastig startete ich den Motor und legte einen Gang ein. Mein Fuß zitterte und war merkwürdig kraftlos. Ich ließ die Kupplung viel zu schnell hochkommen. Abgewürgt. Noch einmal. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Meine Güte. Autofahren war doch Routine, selbst wenn man unter Stress stand. Endlich bekam ich den Wagen in Gang. Aber ich fuhr wie eine blutige Anfängerin mit dem sogenannten Känguru-Benzin. Ich hoppelte dahin, immer kurz vorm Abwürgen des Motors. Ein entgegenkommender Autofahrer flüchtete vor mir regelrecht in eine Parklücke. Auch er schüttelte verständnislos den Kopf. Diesmal machte es mich ärgerlich. Meine Herren. Ja, ich fahre gerade wie ein Henker. Aber ein bisschen Toleranz wäre angebracht. Ich bin gerade um ein Haar vergewaltigt worden. Die Vorstellung ließ mir im Nachhinein den Schweiß ausbrechen.
    Du bist unter Schock, diagnostizierte ich. Sofort anhalten und Hans anrufen, damit er dich abholt. Wo war ich hier überhaupt? Der Ganove hatte mich in ein Viertel gelotst, in dem ich mich nicht auskannte.
    Die Straße endete. Wieder eine Kreuzung. Hier konnte ich auf gar keinen Fall stehen bleiben. Ohne Plan bog ich nach links ab. Ich versuchte, den Straßennamen zu erkennen. Die Buchstaben waren unglaublich klein. Ich kniff die Augen zusammen, aber den Namen konnte ich dennoch nicht entziffern. Dafür sichtete ich einen Hinweis auf eine Polizeidienststelle. Für einen kurzen Augenblick zögerte ich. Einfach Hans anrufen, mich nach Hause fahren lassen und alles vergessen. Ich verwarf den verlockenden Gedanken. Nein, so denken zu viele. Ich durfte mich nicht drücken. Der Überfall musste auf jeden Fall zur Anzeige gebracht werden. Der Kerl war schwer verhaltensauffällig. Wahrscheinlich eine Psychose unter Kokstrip. Eine tickende Zeitbombe und hochgefährlich. Die nächste Frau würde vielleicht nicht so glimpflich davonkommen.
    Zum Glück waren gleich zwei Parklücken frei. Ich war noch immer nicht in der Lage, so zu fahren, wie ich es von mir gewohnt war.
    Ich schnappte meine Handtasche und stieg aus. Dabei hatte ich das Gefühl, meine Glieder wären versteift. Kein Wunder, die Panik saß mir noch in den Knochen. Ich straffte mich und stieg die Stufen zur Polizeiwache hoch.
    Ein junger Beamter mit Nickelbrille saß hinter einem Schreibtisch. Als ich hereinkam, sah er hoch. Sein Blick fuhr mit unverschämter Ungeniertheit über meinen Körper. Ich spürte, wie ich wütend wurde.
     
    Interview: weiblich, 53 Jahre
     
    Bei dem Wort ›alt‹ denke ich an graue Haare, krank sein, gebrechlich sein. Auch an einen schönen Baum, Mutter, Möbel, Wein und an mich selbst (lacht ein wenig).
    Ich mag an alten Menschen nicht, wenn
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