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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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Thieme sollte Recht behalten, zumindest was die amerikanische Börse betraf.
     
    Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr in der ersten Redaktionssitzung wurde der Schlachtplan für den bevorstehenden Börsentag aufgestellt. Wir luden Gesprächspartner für die Reportagen auf dem Börsenparkett und für Hintergrundgespräche im Studio ein. Die gespannte Aufmerksamkeit und die hohen Erwartungen, die die Ereignisse der letzten Tage auf die Börse und damit auch auf unsere Berichterstattung in der Telebörse gelenkt hatten, wollten wir unbedingt durch kompetente Analysen und packende Live-Reportagen rechtfertigen.
    Mehr Informationen, aktueller und ausführlicher als die Konkurrenz vom Fernsehen und Hörfunk, das war unsere große Chance. Aber darin steckte auch eine gewisse Gefahr. Wer sich zu sehr vom Augenblick beeinflussen lässt, von der Fülle der Informationen und von der Stimmung vor Ort, der kann schnell den Blick für das Umfeld verlieren und sich von den direkten Einflüssen zu Aktionen verleiten lassen, die er nach einer längeren Zeit des Nachdenkens vielleicht unterlassen hätte.
    Mancher ehemalige Börsenprofi gestand mir im Nachhinein, dass ihn die Stimmung auf dem Parkett und die Ansichten der Kollegen nicht selten von seiner ursprünglichen Meinung abgebracht und in die falsche Richtung gelenkt hatten. Das ironische Wort »Information gleich ruination« mag seine Wurzel in dieser Erkenntnis haben.
    Der Bericht von der Tokioter Börse hatte am Dienstagmorgen, lange vor dem Start der Frankfurter Börse, relative Ruhe signalisiert. Ein gutes Omen für die deutsche Börse? Die ersten Kurse auf dem Parkett schienen dies zu bestätigen. Zwar waren vereinzelte Minusankündigungen auf den Kurstafeln nicht zu übersehen, aber |32| dazwischen mogelten sich schon die ersten Plusankündigungen, zum Beispiel bei Hoechst oder BASF. Offenbar hielten bei diesem niedrigen Kursniveau die ersten institutionellen Anleger schon wieder die Hand auf und kauften zurück, was sie vorher zu Schleuderpreisen verkauft hatten. Aber es gab noch einen anderen Grund für die leichte Erholung: In einigen Wertpapierhäusern, so erzählte man mir später in privater Runde, hatten die Wertpapierhändler noch bis tief in die Nacht ihre Verkäufe mit den Verkaufsaufträgen der Kundschaft verglichen und dabei überrascht festgestellt, dass es Differenzen gab zwischen den tatsächlichen Verkäufen auf dem Parkett und den vorliegenden Verkaufsaufträgen der Kunden. Man hatte wohl im Eifer des Gefechtes aus unerklärlichen Gründen zu viel verkauft. Diese Differenz musste somit am nächsten Tag durch Käufe wieder ausgeglichen werden. Auch dieser Umstand trieb die Aktienkurse wieder nach oben.
    Wie hatte es zu dieser Verwirrung kommen können? Des Rätsels Lösung wurde intern am nächsten Nachmittag nachgereicht. Die Händler hatten am Montag die Verkaufsaufträge der Kunden auf dem Parkett durchaus in den gewünschten Umfängen abgewickelt. Nur hatten leider die Mitarbeiter, die mit der buchhalterischen Erfassung der Kauf- und Verkaufsaufträge befasst waren, erschöpft gegen 19 Uhr ihre Arbeit abgebrochen und nur den vorläufigen Umfang der Verkaufsaufträge festgestellt. Diese Zwischenergebnisse waren dann von den Wertpapierhändlern als definitives Endergebnis angesehen worden und führten in logischer Konsequenz am nächsten Morgen zu den besagten Deckungskäufen. Als dann am Dienstagnachmittag die endgültige Höhe der Aufträge feststand, mussten die düpierten Händler ihre Deckungskäufe durch entsprechende Verkäufe wieder korrigieren.
    »Der Crash ist schon vorbei«, bekräftigten mir erleichtert viele meiner Gesprächspartner auf dem Parkett. Von dem Hickhack in einigen Häusern um die richtige Erfassung der Orderflut ahnten ja nur die wenigsten etwas. Und die optimistischen Börsianer schienen mit ihrer hoffnungsfrohen Einschätzung richtig zu liegen, denn der Index der Börsenzeitung verlor nur noch fünf Punkte auf 350,28. Nachmittags reagierte die Wall Street mit deutlich steigenden Kursen |33| auf sinkende Zinsen in den USA – ganz, wie es Heiko Thieme vorhergesagt hatte.
     
    Am folgenden Tag schlug die Erleichterung in Frankfurt um in grenzenlosen Jubel. Selbst die sprichwörtlichen »alten Börsenhasen« wie der Börsenjournalist Bruno Hidding, einer unserer vorsichtigsten Gesprächspartner in der Sendung, konnten sich nicht an eine derartige Euphorie auf dem Börsenparkett erinnern. Eine feste Wall Street, sinkende Zinsen in den
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