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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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D-Mark verloren haben.
    Das Schlimmste aber stand uns noch bevor. Wie von einigen Börsianern auf dem Frankfurter Parkett befürchtet, taumelte die New Yorker Börse kopfüber in den Abgrund. Aufgeschreckt durch die starken Verluste am Freitag an der Wall Street und durch die darauf folgende Verkaufswelle in Asien und Europa, hatten die großen institutionellen Anleger in den USA, die Banken, Versicherungen und offenbar auch etliche Pensionsfonds ihren Computersystemen neue Stop-loss-orders eingegeben. Diese computergesteuerten Verkaufsprogramme dienen dazu, bei einem Abrutschen der Kurse auf exakt bestimmte Kursuntergrenzen riesige Aktiendepots auf einen Schlag zu verkaufen, um den Verlust so gering wie möglich zu halten, frei nach dem Motto »Der erste Verlust ist der billigste«. Als die ersten computergesteuerten Verkäufe den Aktienmarkt unter Druck setzten, folgten prompt weitere Verkaufsprogramme. Verkäufe großer und kleiner Privatanleger waren die logische Folge. Wie bei einer stürzenden Reihe von Dominosteinen rissen die Computer in immer schnellerer Folge die Wall Street nach unten.
    Nach nur wenigen Stunden, bevor auch nur ein einziger Händler seinem Computer einen anderen Befehl hatte geben können, hatte die wichtigste Börse der Welt sage und schreibe mehr als 500 Punkte verloren. Bei einem Schlussstand von 1 738 betrug der größte Tagesverlust aller Zeiten fast 23 Prozent. Der Kurseinbruch stellte damit sogar jenen legendären Schwarzen Freitag im Oktober 1929 in den Schatten, als die Kurse schlagartig 12,8 Prozent verloren.
     
    Später wurden massive Vorwürfe gegen den Programmhandel erhoben, der über die Terminbörse in Chicago, wo die Futures auf Aktien und Indizes gehandelt werden, spekulativen Druck auf den Kassamarkt ausgeübt haben soll, an dem die tatsächlichen Aktien, also die Gegenwerte der Futures verkauft und gekauft werden. Damit habe |30| man die computergesteuerten Kurssicherungsverkäufe der internationalen Anleger und Investmentfonds, die wie eine immer höher schwappende Verkaufswelle die Börse überfluteten, in fataler Weise noch verstärkt.
    Die Frage, ob der Terminhandel zu starken und unberechenbaren Kursschwankungen führt oder ob er diese ganz im Gegenteil verhindert, dieser Streit zwischen den Befürwortern und Gegnern der Terminbörse kommt auch heute noch an vielen Börsenplätzen dieser Welt immer wieder hoch, wenn offensichtlich der Terminmarkt dem Kassamarkt vorausläuft, der Schwanz also mit dem Hund wedelt. Dass dieser Programmhandel und die computergesteuerten Verkaufsprogramme den Schwarzen Montag an der New Yorker Wall Street alleine verursacht haben, konnte durch die später folgenden Untersuchungen nicht bestätigt werden. Aber immerhin zog die US-Börsenaufsicht die Konsequenzen aus dem Montagsmassaker: Bei bestimmten Kursschwankungen wird an der Wall Street heute der Handel unterbrochen – wohl auch, um den Anlegern die Gelegenheit zu geben, ihre Computerprogramme auszusetzen oder mit neuen Befehlen zu füttern.
     
    An jenem 19. Oktober aber verfolgten wir in der Redaktion vor dem Reuters-Bildschirm, wie im Minutentakt an der New Yorker Börse die Kurse der größten Konzerne dieser Welt um Milliardenbeträge verfielen. Insgesamt sollen Anleger an der Wall Street an diesem Tag 520 Milliarden US-Dollar verloren haben. Eine Analyse der Ursachen dieses Crashtages schien uns ein Thema für spätere Sendungen zu sein. Jetzt mussten wir eine Antwort finden auf die entscheidende Frage nach der unmittelbaren Zukunft der Aktienbörsen weltweit.
    Am Telefon in New York überschüttete uns ein aufgeregter Heiko Thieme, als Wertpapierspezialist für den amerikanischen Markt damals noch im Dienste der Deutschen Bank, mit seinen optimistischen Prognosen. »Kaufen Sie amerikanische Aktien, oder noch besser, kaufen Sie erst amerikanische Renten, und dann rein in die ausgebombten amerikanischen Blue Chips, wie zum Beispiel IBM. Denn die US-Notenbank kann gar nicht anders handeln, als die Zinsen dramatisch zu senken.« Nur so werde man einen Zusammenbruch |31| der internationalen Finanzmärkte verhindern können. Er werde in den nächsten Tagen nach Deutschland kommen, um diese Meinung in der Telebörse zu begründen.
    Dies war mein erster Kontakt mit diesem notorischen Börsenbullen, dessen grundsätzlicher Optimismus mich bis heute fasziniert und auch angesteckt hat. Zugegeben, damals, im schlimmsten Börsencrash, erschien mir seine These etwas gewagt. Doch Heiko
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