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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte? Sollte man die niedrigen Kurse zum Einstieg nutzen? Meine Fragen müssen meinen amerikanischen Gesprächspartnern am Telefon wohl mehr als nur naiv vorgekommen sein. Das einhellige Echo ließ keine Zweifel aufkommen: »Nicht kaufen, noch nicht! Erst einmal warten, bis die Börse einen Boden gefunden hat.« Das aber könne angesichts der anstehenden ökonomischen Probleme noch sehr lange dauern. Wer schon jetzt die Hand aufhalte, um Aktien zu kaufen, der werde sich ganz bös verletzen. »Greife nie in ein fallendes Messer«, war der Rat meiner Freunde in New York.
    Wie die erste Reaktion auf diesen Kurseinbruch in Deutschland sein würde, konnten wir uns in der Frankfurter Redaktion leicht ausmalen. Die unmittelbar bevorstehende Katastrophe an der Börse würde für die neue Börsensendung die entscheidende Bewährungsprobe bringen. Als erste Vorbereitung auf den kommenden Montag wurde in beschwörenden Telefongesprächen bei der SAT-1-Sendeleitung in Mainz eine Verlängerung der Sendezeit über 13:30 Uhr hinaus beantragt – und auch genehmigt. Im starren Sendekonzept eines öffentlich-rechtlichen Senders der ARD wäre dies wahrscheinlich nicht so schnell möglich gewesen.
    Für den Fall, dass auf dem Börsenparkett die Kursanzeigetafeln, die schon in den Tagen zuvor unter dem Börsenumbau zu leiden hatten, wieder ausfallen würden, bereiteten wir für die wichtigsten deutschen Aktien Kurszettel vor, auf denen der Schlussstand vom vergangenen Freitag notiert wurde. Meine Assistentin Kirsten sollte im Notfall die aktuellen Kurse handschriftlich auf die Formblätter übertragen, die Kursdifferenzen errechnen und gut lesbar eintragen. Ihre Hauptaufgabe aber sollte darin bestehen, auf dem Börsenparkett Gesprächspartner aufzuspüren und sie eine Treppe höher zu mir vor die Fernsehkamera zu holen.
    |26| Doch trotz der Vorwarnzeit war ich innerlich nicht auf das vorbereitet, was mich dann am Montag, dem 19. Oktober, mit Börsenbeginn auf dem Parkett erwartete.
    Dicht gedrängt standen sie vor den braunen Holzschranken der Kursmakler, die Händler der Banken, die Freimakler und einige Zeitungsjournalisten. Schreiend, mit den Armen rudernd oder nur ungläubig nach oben auf die Fernsehmonitore starrend, die über den Schranken der Kursmakler in einer eng versponnenen Rohrkonstruktion provisorisch aufgehängt waren und auf denen die Kursmakler während der Umbauzeit die aktuellen Kurse der gehandelten Aktien anzeigten. Mit aufgerissenen Augen sahen wir fassungslos, wie selbst die goldgeränderten deutschen Standardaktien verramscht wurden. Überall auf den Bildschirmen Minusankündigungen hinter den Aktienkürzeln. Einfach Minus signalisierte: Achtung, der nächste Kurs der betreffenden Aktie wird um 5 Prozent niedriger liegen als der letzte Kurs. Doppelminus warnte vor einem zehnprozentigen Verlust.
    Das Feinste vom Feinen wurde zu Ausverkaufspreisen gehandelt. Daimler, die am Freitag noch 1 019 D-Mark gekostet hatten, waren jetzt um 76 D-Mark billiger zu haben, die angesehene Bayer-Aktie verlor auf einen Schlag 30 D-Mark und war schon für 325 D-Mark zu haben, VW-Stammaktien verloren ebenfalls 30 D-Mark. Mutige Käufer bekamen sie schon für 331 D-Mark. Aber nur wenige hatten diesen Mut. Die Aktien der Deutschen Bank rutschten um fast 58 auf 528 D-Mark ab. Und selbst auf diesem niedrigen Niveau gab es nur vereinzelt Kaufinteressenten. Inländische wie ausländische Anleger trennten sich in Panik von ihren deutschen Qualitätspapieren. Raus, raus aus Aktien!
    Am Ende dieser denkwürdigen Börsensitzung hatte der Börsenindex der Börsenzeitung mehr als 9 Prozent verloren. Damit lag die deutsche Börse im europäischen Vergleich noch nicht einmal an letzter Stelle. London, Paris und Zürich hatten 10 Prozent verloren, die belgische Börse in Brüssel sogar mehr als 18 Prozent.
    Wer sich von dem hektischen Geschäft unten auf dem Parkett für wenige Minuten lösen konnte, kam zu mir auf die Galerie und versuchte, Öl auf die Wogen zu gießen. Gestandene Händler wie |27| zum Beispiel Helmut Weigmann von der Dresdner Bank erinnerten an frühere schwarze Tage an der Börse, als die Kommunisten in Berlin die Mauer bauten, als während der Kubakrise die Welt vor einem Atomkrieg stand, als am 21. August 1968 die Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei einmarschierten und die Börse auf einen Schlag 7,5 Prozent verlor.
    Den jüngeren unter den Börsianern war mit diesen
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