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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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Weltwirtschaftskrise von 1929/30 ins Gedächtnis zurückrufen, den Glauben an einen weiteren Aufschwung der Wirtschaft erschüttern und das Vertrauen in die Aktie vor allem in Deutschland auf eine harte Probe stellen.
     
    In den Räumen der Frankfurter Redaktion der Telebörse, nur wenige Meter von der Börse entfernt, gerieten in diesen Tagen nach der deutschen Zinserhöhung unsere Aufräumungsarbeiten nach der Premierenfeier und die täglichen Vorbereitungen für die nächste Sendung immer wieder ins Stocken, wenn Mitarbeiter im Konferenzsaal laut aufschrien, weil auf unserem einzigen PC, den uns die Handelsblatt-Redaktion großherzig zur Verfügung gestellt hatte, aufregende Agenturmeldungen aus Amerika einliefen. Sofort rannten wir dann alle zu dem Gerät und lasen uns gegenseitig die Sensationsmeldungen vor. Begeistert entdeckten wir die spannende Welt der Börse. An die milliardenschweren Verluste, die mit jedem größeren Kurseinbruch verbunden waren, dachte in dem Augenblick wohl keiner von uns. Was die Reuters-Agentur über die aktuellen Bewegungen an den amerikanischen Märkten meldete, kam an Brisanz und Spannung einem Tatort-Krimi gleich. Die Meldungen zu Kursverlusten an der Wall Street überschlugen sich. Die Äußerungen aus dem amerikanischen Regierungslager zu dem Zinsschritt der Frankfurter Bundesbank ließen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig. Die Tonart wurde von Tag zu Tag aggressiver. Offenbar hatte die deutsche Zinserhöhung die amerikanische Wirtschaft in eine äußerst unangenehme Situation getrieben.
     
    Noch bei dem jüngsten Treffen der großen Industrienationen der westlichen Welt, wenige Wochen zuvor in Washington, hatte US-Präsident Reagan die wichtigsten Handelspartner der USA gebeten, mehr zu tun als bisher, um die Konjunktur daheim anzuheizen. Von einem Anstieg der Binnenkonjunktur in Deutschland beispielsweise |22| erhofften sich die Amerikaner eine stärkere Nachfrage nach amerikanischen Gütern. Dadurch könne man das bedrohlich steigende amerikanische Doppeldefizit im Haushalt und in der Handelsbilanz zumindest bremsen. Die deutsche Delegation mit Finanzminister Stoltenberg und Bundesbankpräsident Pöhl verwies lakonisch auf die kommende Steuerreform, die in Deutschland ab 1988 ein Nachfragevolumen von fast 50 Milliarden D-Mark bewirken werde. Dies sei genug, um die Konjunktur in Deutschland anzuregen. Mehr zu tun, gab der Bundesbankpräsident zu bedenken, wäre inflationsfördernd. Eine Zinssenkung sei also kein Thema.
    Die Amerikaner waren von dieser kühlen Haltung der Deutschen offensichtlich nicht gerade begeistert. Und als dann die Frankfurter Notenbank sogar die Zinsen noch erhöhte und damit die deutsche Konjunktur bremste, platzte dem impulsiven US-Finanzminister Baker endgültig der Kragen. Aus seiner Sicht nicht ganz unverständlich. Denn natürlich wurde das deutsche Zinssignal als der Beginn einer weltweiten Zinserhöhung verstanden. Das war geradezu eine Katastrophe angesichts der Hoffnungen der amerikanischen Regierung, über eine weltweite Konjunkturbelebung ihre steigenden Defizite im Haushalt und im Außenhandel zu bekämpfen. Finanzminister Baker und Notenbankchef Greenspan hielten steigende Zinsen in den USA für nicht gerechtfertigt, erst recht nicht für wünschenswert, aber die Frankfurter Notenbank machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.
     
    Die amerikanischen Finanzmärkte nahmen sofort die richtige Fährte auf. Der Zins für erste Adressen in den USA, die Primerate, zog an, und als die monatlichen Zahlen ein weiteres Abgleiten der Handelsbilanz signalisierten, geriet die Wall Street unter Druck, sank der US-Dollar gegenüber der D-Mark auf 1,81. Namhafte Börsen-Gurus in den USA, wie zum Beispiel Robert Prechter, ein entschiedener Anhänger der Elliot-Wellen-Theorie, warnten vor einem Einbruch beim Dow-Jones-Industrial-Index von 200 bis 300 Punkten in Richtung 2 000 und darunter.
    An der Frankfurter Börse wurden meine Gesprächspartner immer blasser. Zwar erholte sich der Index der Börsenzeitung zwischenzeitlich |23| an einem Tag von knapp 398 auf über 403 Punkte – umgerechnet in den heutigen DAX hätte das einem Stand von unter 1 600 entsprochen –, aber der Rentenmarkt meldete Land unter. Druck wegen einer drohenden Quellensteuer, dazu steigende Zinsen am kurzfristigen Geldmarkt und, zu allem Übel, ein schwächerer US-Dollar, der mit Sicherheit höhere Zinsen in den USA zur Folge haben würde: Das war zu viel für den deutschen
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