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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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Berührungsängste waren in den ersten Tagen der Telebörse nicht gering. Schließlich waren wir mit unserer Sendung die Ersten, die regelmäßig direkt und live vom Parkett über die Börse berichteten. Inzwischen gehören die Kameras der deutschen und internationalen Fernsehsender längst zum alltäglichen Leben der Frankfurter Börse.
     
    Themen aus unmittelbar deutscher Sicht gab es für die Telebörse vom ersten Tag an zur Genüge. An journalistischer Arbeit herrschte also kein Mangel. So witterte Anfang Oktober 1987 Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl unmittelbar hinter der nächsten Ecke massive Inflationsgefahren. Selbst Stimmen aus dem Kreis der Wirtschaftsinstitute, die vor einer möglichen Abkühlung der Binnenkonjunktur besonders im Baubereich warnten, konnten ihn nicht von dieser Meinung abbringen. Die Geldmenge war im September stärker gestiegen, als dies der Bundesbank nach Ansicht der Börse lieb sein konnte. Zwar signalisierte die aktuelle Preissteigerungsrate mit einem Plus von knapp einem Prozent nicht die geringste Gefahr für die Preisstabilität in Deutschland, aber die vorsichtigen Börsianer verwiesen mich auf den entsprechenden Vorjahreszeitraum, in dem die Preise noch um 1,5 Prozent gesunken waren. Eine gewisse Trendwende sei das schon, von sinkenden Zinsen werde man sich wohl verabschieden müssen, flüsterten mir die Börsianer auf dem Parkett sorgenvoll zu. Wenn die deutschen Zinsen aber erhöht würden, könne die D-Mark gegenüber dem US-Dollar noch mehr zulegen. Schon jetzt sei die D-Mark gegenüber dem US-Dollar mit 1,84 sehr stark. Verliere der Dollar noch mehr an Wert, werde es sehr schwer für die exportorientierte deutsche Industrie, ihre Stellung im Dollarraum zu behaupten, entsprechend könnten die Kurse der exportorientierten Automobil- oder Chemiewerte ins Rutschen geraten. Dem US-Dollar komme also in der nächsten Zukunft eine Schlüsselrolle zu. Vorsicht sei geboten, zumal die Bundesregierung plane, der Börse einen weiteren Stolperstein in den Weg zu rollen.
    |20| Im Kabinett der Bonner Bundesregierung war in diesen Wochen der Plan entwickelt worden, die deutschen Kapitalerträge einer zehnprozentigen Quellensteuer zu unterwerfen. Die deutsche Finanzwelt schrie in hellem Entsetzen auf. Der Bankenverband befürchtete eine anhaltende Flucht aus deutschen Anlagen, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband sorgte sich um die Kurse am deutschen Rentenmarkt und um die Zinsen und forderte das sofortige Ende der Diskussion über eine deutsche Quellensteuer und Zinserhöhungen. Die Gespräche der Händler im kleinen Rentensaal, hinter dem großen Saal, wo die Aktien gehandelt wurden, wurden immer lauter und aufgeregter. Für mich ein ganz ungewohntes Erlebnis, denn in der Regel ging es im Rentensaal der Frankfurter Börse eher ruhig und gelassen zu. Manchmal konnte man sogar den Eindruck gewinnen, sich in einem Schlafwagen der Bundesbahn zu befinden. Die Ruhe bei den Rentenhändlern wirkte auf mich wie die Entspannungsmusik bei meinen wöchentlichen Yoga-Übungen.
    Welch angenehmer Kontrast zu dem lauten und hektischen Treiben im Aktienhandel! Dieses wilde Geschrei der Aktienhändler und Makler, die sich ihre Kauf- oder Verkaufsangebote unmittelbar ins Gesicht schrien, dazu die hämmernden Pressluftbohrer der Bauarbeiter über mir, die im Akkordtempo die Börse auch während der Sitzungszeiten umbauten. Wahrscheinlich sind meine leichten Gehörschäden in jener Zeit entstanden.
     
    Als am Dienstag, dem 6. Oktober, offenbar völlig unbeeindruckt von diesen Irritationen, die deutsche Bundesbank den Zinssatz für Wertpapierpensionsgeschäfte von 3,5 Prozent auf 3,6 Prozent anhob – von einzelnen Kreditinstituten waren in der Spitze sogar 3,75 Prozent akzeptiert worden –, ging der deutsche Rentenmarkt laut ächzend in die Knie. Der US-Dollar rutschte prompt von 1,84 auf 1,83 D-Mark. Doch nicht nur in Frankfurt fielen die Kurse, stiegen die Renditen. Die Maßnahme der deutschen Bundesbank wurde von den Finanzmärkten weltweit als Signal für eine allgemeine Trendwende in Richtung steigender Zinsen verstanden. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl hatte uns Journalisten von der Telebörse einen riesigen Knochen |21| hingeworfen. Nur wussten wir es zu diesem Zeitpunkt noch nicht – er wohl auch nicht.
    Das goldene Börsenjahr 1987 war zu Ende, ohne dass einer von uns es geahnt hätte. Nur wenige Tage später würden Milliardenverluste an den Weltbörsen die Erinnerungen an die
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