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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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Erinnerungen natürlich kein Mut zu machen. Wie gelähmt starrten sie auf die Kursbewegungen. Nach einem permanenten Börsenaufschwung seit dem Regierungswechsel von Schmidt zu Kohl im Jahre 1982 verwandelte sich innerhalb von Minuten ihre schönste aller Welten in einen Scherbenhaufen. Dieses Massaker machte mit einem Schlag alles zunichte, was sie sich aufgebaut hatten: den Glauben an ihren Erfolg, ihr Selbstwertgefühl, ihren Wohlstand, nicht selten auf Pump gekauft. Der ständige Gewinn an der Börse hatte so manchem von ihnen den Blick für die Realität genommen. Jetzt wurden sie jäh aus ihren Träumen gerissen und mit der Tatsache konfrontiert, dass die Börse halt keine Einbahnstraße ist.
    Für die alten Kämpen unten auf dem Parkett konnte es nur eine Devise geben: keine Panik, einen kühlen Kopf behalten. Wenn alle in dieselbe Richtung laufen, muss es eigentlich die falsche Richtung sein, denn an der Börse hat die Mehrheit nur selten Recht. Die erfahrenen Börsenhaudegen wie Klaus Nagel von der Deutschen Bank, Heinz-Jürgen Schäfer von der Dresdner Bank oder auch Hans Werner Dort, damals noch bei der Commerzbank beschäftigt – sie alle verwiesen in der Telebörse auf die gute Qualität der deutschen Standardwerte, die sich auf lange Sicht durchsetzen und in höheren Kursen niederschlagen werde. Kurzfristige Bedenken könnten natürlich angesichts dieses Schlachtfestes auf dem Parkett nicht verschwiegen werden. Ein schwacher US-Dollar werde die Exportchancen der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen, hieß es immer wieder, aber auf lange Sicht würden sich die deutschen Unternehmen dank ihrer Innovationskraft und ihrer Produkt- und Lieferqualität auf den Weltmärkten in bewährter Manier behaupten. Allerdings dürfe man die Entschlossenheit der US-Regierung nicht unterschätzen, ihr Handelsbilanzdefizit zu verringern.
    |28| Für derartige Situationen bieten die Wirtschaftswissenschaften den amerikanischen Politikern eine simple Lösung an, nämlich die Erhöhung der Exporte. Aber was soll geschehen, wenn dieser theoretisch plausible Vorschlag nicht greift, weil beispielsweise in den hochverschuldeten Ländern der Dritten Welt die entsprechende Kaufkraft fehlt? Dann müssen halt die wohlhabenden Industrieländer in Europa und in Asien ihre Märkte weiter für amerikanische Produkte öffnen, tönen die Volkswirte aus ihren Studierstuben. Doch auch hier scheitert hin und wieder die Theorie an der Praxis. So sahen im Herbst 1987 amerikanische Politiker in der deutschen Stabilitätspolitik eine bewusste Blockade der Importe aus den USA.
    »Dies könnte die Amerikaner zu protektionistischen Gegenmaßnahmen zwingen«, sorgten sich die Börsianer auf dem Frankfurter Parkett, »die Importe aus Deutschland werden sich in diesem Fall drastisch verringern.« Da gerade die deutsche Wirtschaft vom Export lebe, könne die deutsche Konjunktur und damit die Börse auch auf längere Sicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Doch trotz all dieser Bedenken, der Tenor dieses Tages war: im Grunde müsse man in die Schwäche hinein kaufen. Nach einem derartigen Kursrutsch waren das doch alles Kaufkurse. Oder? Allerdings sei es vielleicht besser, erst noch die Kursentwicklung an der Wall Street abzuwarten. Vermutlich sei aber schon bald alles vorbei. Ein schwerer Irrtum, wie sich wenige Stunden später herausstellen sollte.
     
    Durch Sonder- und Eilmeldungen der internationalen Nachrichtenagenturen und unsere stundenlange Dauersendung auf SAT 1 direkt vom Frankfurter Börsenparkett aufmerksam geworden, waren auch andere Fernsehsender mit ihren Kamerateams angerückt. Sogar für die Tagesthemen der ARD wurde die Börse plötzlich zu einem Thema erster Ordnung. Jetzt wollten meine ehemaligen Kollegen in der Hamburger Redaktion der Tagesschau und Tagesthemen unbedingt wissen, warum die Aktienkurse fielen, in welche Richtung sich der US-Dollar entwickeln und wie lange die Verkaufspanik anhalten werde. Jahrelang hatte ich als verantwortlicher Wirtschaftsredakteur bei den Tagesthemen vergeblich für einen festen Platz für derartige Meldungen in der Sendung gekämpft. Seit diesem Tag spielt |29| die Börse auch in der öffentlich-rechtlichen Fernsehberichterstattung die Rolle, die ihr schon längst hätte zukommen müssen. Für die Telebörse war dieses Schlachtfest auf dem Frankfurter Börsenparkett eine herausragende, wenn auch sehr teure Werbeaktion. Allein an den deutschen Börsen sollen Anleger an diesem Tag 45 Milliarden
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