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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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USA, steigende Rentenkurse in Deutschland, folglich sinkende Renditen auch bei uns, dazu ein US-Dollar, der um mehr als einen ganzen Pfennig auf 1,8041 stieg! Plötzlich schienen wir alle wieder in der besten aller Börsenwelten zu leben.
    In den sprichwörtlichen Waschkörben wurden die Kaufaufträge der privaten Anleger an die Börse getragen. Selbst für die großen Standardwerte konnten die Kassakurse, zu denen die kleineren Aufträge abgewickelt werden, erst gegen 13 Uhr, also mit einer Verspätung von mehr als 45 Minuten errechnet werden. Bei vielen kleineren und mittleren Werten waren die völlig überforderten Kursmakler erst nach Börsenschluss in der Lage, einen Kassakurs zu ermitteln. Und dabei hatte die Börsenaufsicht die Handelszeit um eine Stunde bis 14:30 Uhr verlängert. Statt eines Börsianers, der an normalen Tagen im Rahmen der Börsenaufsicht Plus- und Minusankündigungen abzeichnen muss, liefen fünf aufsichtsführende Börsianer von einem Kursmakler zum nächsten, um die zahllosen Plusankündigungen zu kontrollieren.
     
    »Hausse!« kommentierte am folgenden Mittwoch Bruno Hidding in der Börsenzeitung diesen Tagesgewinn von 5,9 Prozent und konnte stolz darauf verweisen, dass vor allem die deutschen Börsen auch im schlimmsten Crash und in der anschließenden stürmischen Erholung funktionsfähig geblieben seien. Während des Schwarzen Montags habe in Deutschland jeder Anleger, trotz einer nie vorhergesehenen Orderflut, seine Verkaufsabsichten vollständig verwirklichen können. Auch bei der Abwicklung habe es in Deutschland keine Verzögerungen gegeben. Spätestens nach zwei Tagen habe jeder Verkäufer sein Geld erhalten.
    |34| An anderen Börsenplätzen, so in Madrid, Lissabon, Helsinki oder Hongkong und Singapur, war die Börsenorganisation zeitweise ins Schleudern geraten oder völlig zusammengebrochen. Nicht selten musste man dort bis zu zehn Tage auf sein Geld oder auf die Aktien warten. Kein Wunder, dass vor allem Ausländer die deutsche Börse benutzten, um Kasse zu machen. Selbst an einem Tag, an dem wir alle vor Begeisterung fast aus den Schuhen sprangen, waren die Ausländer auf der Verkäuferseite zu finden. Eine Tatsache, die alle Alarmanlagen hätte anspringen lassen müssen. Aber wohl jeder, vom erfahrenen Börsianer bis zum jüngsten Börsenhändler, sie alle waren bei dieser Jubelstimmung auf dem Parkett fest davon überzeugt, die Börse habe ihren Boden erreicht, man müsse diese niedrigen Kurse an der Börse unbedingt zum Kauf nutzen. Dass viele, Börsenprofis wie Privatanleger, ihre Schnäppchenjagd über Kredite finanzierten, regte offenbar niemanden in den Kreditinstituten sonderlich auf. Die Börsenzukunft leuchtete nur noch in den rosigsten Farben. Welche Probleme zu dem amerikanischen Börsenkrach geführt hatten und ob diese lediglich durch Zinssenkungen in den USA schon wieder aus der Welt geschafft waren, ob es nachvollziehbare Gründe gebe für einen steigenden Dollarkurs, auf all diese Fragen suchte keiner in Frankfurt eine Antwort. Ja, die Fragen wurden nicht einmal mehr gestellt. Auch die deutschen Probleme, wie Quellensteuer oder Belastung der Exporte durch eine zu starke D-Mark, alles das war plötzlich kein Thema mehr.
    Doch Haussen sterben im Übermut. Noch eine Börsianerweisheit, die man nicht vergessen sollte. Ohne das gesamte Börsenumfeld zu analysieren, hatten wir eine simple technische Erholung als Trendumkehr gedeutet. Schon am nächsten Tag sollten wir alle begreifen, dass wir gegen einen der wichtigsten Börsengrundsätze verstoßen hatten: Nicht blind in die Schwäche hinein kaufen. Nie in ein fallendes Messer greifen!
     
    Der Donnerstag tauchte die jubelnden Börsianer in eisiges Gletscherwasser. Wo gestern noch die Plusankündigungen Begeisterungsstürme ausgelöst hatten, legten sich nur 24 Stunden später zahllose Minusankündigungen wie Mehltau auf die Seelen der Händler und Makler. Ausländische Fonds trennten sich von ihren deutschen Wertpapieren |35| , aus Angst vor einer schwächeren Wall Street, Anhänger der technischen Analyse sahen voller Entsetzen, wie die Kurse ihrer Aktien unter die vermeintlich sichersten Unterstützungslinien stürzten, und traten ohne zu zögern auf die Notbremse.
    Wieder musste die Börsenzeit verlängert werden, wieder saßen die Mitarbeiter der Kreditinstitute bis Mitternacht in ihren Büros, um die Auftragsflut zu bewältigen, und wieder hatte sich die Frankfurter Börse als perfekte Organisation bewiesen.
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