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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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Jeder Käufer erhielt fristgerecht seine Aktien und jeder Verkäufer sein Geld. Die deutschen Börsen funktionierten also nicht nur bei schönem Wetter. Eine Eigenschaft, die sich weltweit sehr schnell herumsprach. Wer immer in dieser Krisenzeit Geld brauchte, an der deutschen Börse bekam er es. Grund genug für viele international anlegende Fonds, gerade ihre deutschen Depots abzustoßen – was den Druck auf deutsche Aktien naturgemäß noch verstärkte. Außerdem konnten ausländische Anleger bei Verkäufen ihrer deutschen Aktien ihre Kursverluste durch Währungsgewinne abfedern, weil die D-Mark gegenüber dem US-Dollar und anderen europäischen Währungen zu einem Höhenflug angesetzt hatte.
    Was den Ausländern ausgesprochene Freude bereitete, stürzte die deutschen Anleger in tiefe Depressionen. So mancher Profi wie auch Kleinanleger wurde von seinem Kreditinstitut ultimativ aufgefordert, Geld nachzuschießen beziehungsweise sein auf Pump gekauftes Aktiendepot zu verkaufen, um die Kredite zurückzuzahlen. Nur wer seine Aktien nicht auf Kredit gekauft hatte oder wer sich mit seinem Kreditinstitut auf ein Stillhalteabkommen einigen konnte, war nicht gezwungen, mit blutendem Herzen zu diesen katastrophal niedrigen Kursen zu verkaufen. Synchron mit dem Kurs des US-Dollars zur D-Mark tauchte die deutsche Börse in nie gesehene Tiefen.
    Hatte der Index der Börsenzeitung am Freitag, dem 16. Oktober 1987, noch bei prächtigen 392,16 Punkten geglänzt, so verkümmerte er nur drei Monate später zu mageren 249,42 Punkten, begleitet von einem US-Dollar, der in Richtung 1,67 D-Mark taumelte.
     
    Aber wenn die Nacht am dunkelsten, steht der Tagesanbruch unmittelbar bevor. Ein Börsianerspruch, mit dem wir uns auf dem Parkett |36| gegenseitig Mut zusprachen. Nur, die wenigsten glaubten selber daran. Es gab einfach zu viele schlechte Nachrichten. So strafte Siemens auch noch den letzten Optimisten an der Börse Lügen, als die Unternehmensführung statt eines erwarteten Gewinnzuwachses von 200 Millionen D-Mark für das abgelaufene Geschäftsjahr 1986/87 einen Konzerngewinn von nur 1,275 Milliarden Mark bekanntgab, fast 200 Millionen D-Mark weniger als im Geschäftsjahr zuvor.
    Nichts ist schlimmer für die Börse als enttäuschte Erwartungen. Wenn Analysten ihre vorherigen Gewinnschätzungen aufgrund der tatsächlichen Unternehmenszahlen nach unten korrigieren müssen, hat das in den meisten Fällen sinkende Kurse zur Folge, selbst wenn die erzielten Gewinne gar nicht so schlecht sind. Eine sehr mechanische Einstellung zur Börse, die sich im Laufe meiner journalistischen Tätigkeit an der Börse häufig als falsch herausgestellt hat. Die SAP-Aktie ist dafür ein sehr gutes Beispiel.
     
    Der Siemens-Konzern machte vor allem den schwachen US-Dollar für den unerwarteten Gewinnrückgang verantwortlich. Die Aufwertung der D-Mark gegenüber dem US-Dollar habe im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatzausfall von 2 Milliarden D-Mark verursacht. Als Konsequenz müsse die Dividende von 12 auf 11 D-Mark gekürzt werden. Das hatte der Börse gerade noch gefehlt. Auf einen Schlag verlor die Siemensaktie mehr als 8 D-Mark.
    Zusätzlich geriet ein anderes Flaggschiff der deutschen Börse ins Gerede: Bei der Deutschen Bank werde es unter Umständen ebenfalls eine Dividendenkürzung geben, wollten schweizerische und britische Quellen wissen. Das sofortige Dementi der größten deutschen Bank half nur wenig. Wenn die Börse erst einmal auf dem Negativtrip ist, dann kann sie nichts aus ihrem Stimmungstief herausholen. Nach dem Oktober-Crash hatten sich die deutschen Anleger, allen voran die Profis auf dem Parkett, durch voreiliges Kaufen furchtbare Wunden zugezogen. Jetzt hielt man die Taschen geschlossen, Käuferstreik war angesagt. Vielleicht hatte der eine oder andere Makler auch noch Probleme, seine Kredite bei der Lombardkasse fristgerecht zurückzuzahlen, zumal die Kreditspielräume gekürzt wurden, um weitere Verluste so gering wie möglich zu halten. Die meisten Banken, so |37| hieß es hinter vorgehaltener Hand, hätten den Wertpapierhandel auf eigene Rechnung drastisch zurückgefahren, kein Wunder also, dass die Aktienbörse in einem Meer von Traurigkeit zu ertrinken drohte.
    Selbst deutliche Zinssenkungen am deutschen Rentenmarkt, sonst ein Treibsatz für steigende Aktienkurse, konnten die deutschen Anleger nicht aufmuntern. Ganz im Gegenteil, wie die Ausländer trennten sich auch die inländischen Anleger von ihren
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