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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer
Autoren: Friedhelm Busch
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aus dem amerikanischen Raum hatten sich an diesem Tag auffällig zurückgehalten. Irgendetwas schien sich an der Wall Street zusammenzubrauen.
    »Auf jeden Fall habe ich erst einmal meine Aktienbestände abgebaut. Sicher ist sicher«, vertraute mir auf der Treppe vor der Börse |42| einer meiner Gesprächspartner an, bevor er mit seinen Kollegen zu einem hastigen Mittagessen bei »Mutter Ernst« in der Nähe der Frankfurter Freßgasse einlief. Ein Steak und ein Bier, zu mehr würde es heute nicht reichen. Denn ab 15 Uhr war für ihn im Händlersaal seiner Bank »Reuters« angesagt. Über die Bildschirme der Reuters-Agentur konnte man in Sekundenschnelle erfahren, wie die amerikanische Börse in den letzten Tag der Woche starten würde.
     
    Aber bei all unserer Skepsis und Vorsicht: Das, was dann von der Wall Street über den Atlantik anrollte und über die deutsche Börse hereinbrach, das hatte – wieder einmal – keiner von uns vorhergesehen. Ein atemberaubender Kursrutsch bahnte sich an, der sofort an den dramatischen Oktober nur zwei Jahre zuvor gemahnte.
    Das Wochenende war endgültig verdorben. Am nächsten Montag würde es an den deutschen Börsen ein Schlachtfest geben. Meine Stimme muss am Telefon vor Aufregung spürbar gewackelt haben, denn ohne Proteste genehmigte die Mainzer Sendeleitung von SAT 1 für den kommenden Montag zusätzliche Sendezeiten. Von 11 Uhr bis zum Börsenschluss hatte die Sendung Telebörse freie Bahn.
    Wir hatten auf dem Frankfurter Börsenparkett schon in den vergangenen Wochen und Monaten die zunehmende Unruhe an der Wall Street registriert. Vor allem in der Luftfahrtindustrie hatten die Deregulierungspläne der westlichen Industrienationen zu heftigen Aktivitäten geführt. Eine weltweite Privatisierung des Flugverkehrs würde den internationalen Konkurrenzdruck verschärfen. Den vorhersehbaren Preiswettbewerb im Kampf um die Passagiere und das Frachtaufkommen konnten wahrscheinlich nur die größten Fluggesellschaften durchstehen. Vor diesem Hintergrund war die amerikanische Luftfahrtindustrie mächtig in Bewegung geraten. Jeden Tag gab es an der Börse neue Spekulationen über Konkursanträge, Fusionen oder Übernahmen. Mitarbeiter, Gewerkschaften, kapitalkräftige Finanziers oder Glücksritter, sie alle warfen ihren Hut in den Ring und wollten mitmachen beim Spiel ums große Geld.
    Gefürchtet und hochgeschätzt zugleich war dabei eine Methode, die schon in den vergangenen Jahren die Wall Street in wahre Rauschzustände getrieben hatte. Findige Finanziers unterbreiteten |43| den Aktionären einer Gesellschaft Übernahmeangebote für ihre Anteile – Angebote, die weitaus höher lagen als der aktuelle Kurs, mit dem Argument, die bisherige Unternehmensführung habe es offensichtlich nicht verstanden, die wahren Fähigkeiten des Unternehmens zu wecken, und müsse deshalb abgelöst werden. Häufig waren die steigenden Börsenkurse nach der Bekanntgabe des Übernahmeangebots den Aktionären schon Grund genug, die Anteile an den Kaufinteressenten zu veräußern, der dann mit Erreichen der Kapitalmehrheit natürlich im Unternehmen das Kommando übernahm.
    Finanziert wurden derartige Übernahmen in vielen Fällen durch Kredite, die der neue Mehrheitsaktionär des Unternehmens aufnahm, oder, wenn die Verschuldung schon zu hoch war, durch die Ausgabe von sogenannten Junk Bonds, also äußerst risikoreichen Wertpapieren, die lediglich wegen ihrer ungewöhnlich hohen Verzinsung von den Anlegern gekauft wurden und ihren Namen »Ramsch«- oder »Müllanleihen« wohl zu Recht trugen. Um diese Schulden zu tilgen oder die Junk Bonds bedienen zu können, wurde in vielen Fällen das übernommene Unternehmen in seine Einzelteile zerlegt und anschließend stückweise mit Gewinn verscherbelt. Was nach der Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel von den Verkaufserlösen übrig blieb, das war praktisch der Reibach des Aufkäufers.
    Um gar nicht erst in die Finger derartiger Finanzjongleure zu geraten, versuchten viele amerikanische Fluggesellschaften die Flucht nach vorn. Fusionsgespräche mit der nationalen wie internationalen Konkurrenz standen plötzlich ganz oben auf der Tagesordnung der leitenden Herren. Bei United Airlines planten sogar die eigenen Manager eine Übernahme des angeschlagenen Unternehmens, unterstützt von der Pilotengewerkschaft und vom europäischen Konkurrenten British Airways.
     
    Aber dann, Anfang Oktober, geriet Sand ins Getriebe. Die amerikanischen Banken wollten nicht mehr
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