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Titan 22

Titan 22

Titel: Titan 22
Autoren: Brian W. Aldiss , Wolfgang Jeschke
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Einführung
     
     
    Es ist seltsam, daß es bei Ideen genauso eine Mode gibt wie bei Kleidern. Was modisch ist, kann man aus der Reaktion erkennen, als der Minirock vom knöchellangen Rock verjagt wurde. Wenn die Dinge anders sein sollen, so muß man auch sehen, daß sie anders sind. Am Ende des Viktorianischen Zeitalters trugen die Männer riesige Bärte; und anschließend reagierte eine ganze Generation gegen Gesichtspelz und sah darin ein Symbol einer muffigen, scheinheiligen Zeit. In den sechziger Jahren fand eine neue Generation Spaß an Bärten und langem Haar und so viel Haarigkeit, wie der Kopf nur tragen konnte. Das war ein Zeichen der Jugendlichkeit. Vielleicht war es ein Zufall, daß gleichzeitig die Viktorianische Zeit wieder populär wurde.
    Es ist durchaus möglich, daß in ein oder zwei Jahren diese Haarigkeit wieder einen Tiefpunkt der Popularität erreicht, wenn nämlich die Reaktion gegen die Drogengeneration einsetzt, die solche Dinge kultivierte. Und dann wird man, in dem Maße wie der Glücksstern des Westens weiter sinkt – wenn er das tut – aufs neue die Drogengeneration bewundern. Und so weiter und so weiter.
    Leser dieser Anthologie wissen zweifellos, daß die Kliometrie eine der neuen Wissenschaften ist, die von Computern möglich gemacht wurde, eine Wissenschaft, in der man mathematische und statistische Methoden für das Studium der Geschichte einsetzt. Und die Kliometrie ist – in Gestalt eines neuen Buches mit dem Titel Tim e o n th e Cros s – gerade auf eine neue Betrachtungsweise der Geschichte der Sklaverei im Süden der Vereinigten Staaten gestoßen.
    In den Slums der Taschenbuchindustrie sind Romane Mode, die sich mit Sklaverei befassen, wobei heftig die Peitsche geschwungen und die Ausbeutung üppiger schwarzer, weiblicher Sklaven durch böse weiße Pflanzer betont wird. Time on the Cross widerspricht dieser traditionellen Karikatur des Lebens auf den alten Pflanzungen und stellt die Behauptung auf, daß die Sklavenbetriebe sehr effizient waren und häufig auch von schwarzen Managern geleitet wurden; daß man die Peitsche viel seltener und als durchaus positiven Anreiz einsetzte; daß die Nahrung der Sklaven selbst nach modernen Begriffen recht gut war, und daß die schwarzen Familien nur selten auseinandergerissen wurden, da die Landbesitzer sehr wohl wußten, daß solche stabilen, geschlossenen Arbeitseinheiten am meisten leisteten.
    Diese Erkenntnisse werden sowohl von schwarzen als auch von weißen Historikern in den Staaten in hohem Maße angezweifelt. Es gibt ganz offensichtlich gute Gründe dafür, die Fakten in Frage zu stellen, die hier geschildert werden, und nicht nur, weil sie den bisherigen Vorstellungen widersprechen, an die man ja allgemein glaubte. Denn hinter dem Disput liegt die Frage nach der Mode von Ideen; es ist altmodisch anzuerkennen, daß es für die Sklaverei durchaus auch Gutes zu sagen gibt, und daß es sich dabei um ein funktionsfähiges Wirtschaftssystem handeln könnte. Die Moral findet so Eingang selbst in die Wirtschaftswissenschaften.
    Der Mode nicht entsprechende und unpopuläre Ideen sind gleichsam das Rückgrat der Science Fiction – und das sogar noch mehr als originelle Ideen. Diese Anthologie wurde, wie die anderen in der Serie {1} , um der Unterhaltung willen zusammengestellt. Und doch enthält sie einen ganzen Sack voll Vorstellungen, die aus dem einen oder anderen Grund nicht akzeptabel sind.
    Zwei der Geschichten deuten übrigens auf völlig unterschiedliche Art und Weise an, daß der Homo sapiens bald durch eine effizientere Spezies ersetzt werden könnte. Auch andere beleidigende Botschaften erreichen ihren Empfänger: daß die terrestrische Geschichte ein Zufall ist, gleichsam nur zum Spaß geschaffen; daß es in der ganzen Galaxis keinen anderen Planeten gibt, zu dem wir uns begeben könnten; daß schon morgen völlig unpersönliche Mächte die Zivilisation und das, woran sie glaubt, auslöschen könnten; daß vielleicht den Toten eines Tages die Aufgabe zukommen könnte, unsere Rechte zu verteidigen; daß wir bloße Parasiten auf einem Körper sind, dessen Eigenarten wir überhaupt nicht begreifen, ja gar nicht begreifen können; daß das Universum, das uns umgibt, rein zufälliger Natur ist. Wahrhaftig üble Aussichten!
    All dies läßt vielleicht die Meinung aufkommen, daß dies nicht gerade eine freudige Sammlung ist. Doch das Gegenteil ist der Fall, obwohl es hier melancholische Geschichten gibt – aber die
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