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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Autoren: Vea Kaiser
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[Prolog, Notizbuch I]
    [1.1.] Am Anfang war ein Berg, und viele stritten darüber, ob diese 1221 Meter überhaupt ein Berg seien oder nur ein Ausläufer des Großen Sporzer Gletschers. Wie ich, der Historiograph Johannes A. Irrwein, Nachfolger des Herodot von Halikarnassos, Enkel von Doktor Johannes Gerlitzen, mit eigenen Augen festgestellt habe, sind der grimmige Gletscher und der sanfte Angerberg, wie er von seinen Besiedlern genannt wurde, eng verbunden. Fast scheint, als beschützte der Große Sporzer seinen kleinen Bruder, indem er und die anderen Viertausender der Sporzer Alpen ihn derart einkreisen, daß man von nirgendwo seine Existenz erahnen kann. [1.2.] Weiters muß man feststellen, daß der Angerberg kein Berg im klassischen Sinne ist; er ist keineswegs beständig ansteigend oder in ein Gipfelkreuz mündend. Zwar steigt der Angerberg vom Lenker Tal aus steil an, doch ab dem tausendsten Meter flacht er ab, ehe er auf 1221   m in ein waagerechtes Plateau mündet, so, als wäre der letzte Schliff des Schöpfers am Angerberg ein Hieb mit einer dorfplatzgroßen Bratpfanne gewesen. [1.3.] Auf diesem Plateau nun befindet sich ein Dorf mit dem Namen St.   Peter am Anger, bewohnt von einer eigentümlichen Menschenspezies, die der Gegenstand meiner wissenschaftlichen Untersuchungen ist. Meinem Vorbild Herodot folgend, nenne ich dieses Volk Bergbarbaren – doch soll bedacht werden, daß das Wort Barbare aus dem Altgriechischen stammt ( βάρβαρος ) und nicht abwertend gemeint ist wie im modernen Sprachgebrauch, sondern bloß eine Sammelbezeichnung für jene Völker darstellt, die fremd, eigentümlich und des Griechischen (sowie der aus Hellas übernommenen Zivilisation) unkundig sind. Dies trifft auch auf die Bergbarbaren zu, die in einem höchst einzigartigen Idiom zu sprechen pflegen, wie ich selbst gehört habe. [1.4.] Jene Bergbarbaren aus St.   Peter haben im Laufe der Jahrhunderte Sitten und Gebräuche entwickelt, die der zivilisierte Leser erfahren soll, und vor allem möchte ich skizzieren, wieso sie so sind, wie sie sind, woher sie stammen und wie es kam, daß sie gegen die Zivilisierten Krieg führten.

Der Wurm und das Schneehuhn
          
    Alle Holzfäller schworen, sie hätten jenen Stammrutsch, der Johannes Gerlitzen zu Sommerbeginn 1959 die Schulter ausrenkte und den rechten Arm brach, nicht kommen sehen. Zu Johannes’ Glück waren es nur fünf gefällte Fichten – Äste und Zweige waren bereits abgeschlagen –, die so schwer auf dem feuchten Waldweg lasteten, dass dieser abrutschte. Es war später Vormittag, die Holzfäller tranken ihr zweites Bier, aßen Äpfel und reichten die Schnapsflasche im Kreis. Eine Stunde wollten sie noch arbeiten, bevor die Mittagshitze in den Fichtenwald am Nordhang des Sporzer Alpenhauptkamms kroch. Johannes hatte sich abgesondert, er kletterte etwas weiter südlich durch das Unterholz, suchte nach dem richtigen Material, um eine Marienstatue zu schnitzen, die bei ihm bestellt worden war. Erst als die Vögel aufflogen und die Erschütterung Hasen aus ihren Sassen schreckte, bemerkten die Männer das Unglück. Einen Wimpernschlag später polterten die Stämme mit markerschütterndem Donnern abwärts, rissen Jungbäume um wie Kartenhäuser und kamen mit ungebremster Wucht auf Johannes zu. Dieser reagierte schnell, versuchte zu flüchten, doch als der letzte Stamm direkt auf ihn zuhielt, konnte er nur noch zur Seite springen – und sprang nicht weit genug. Die anderen Holzfäller dachten, jetzt sei er hin, und ihre Herzen machten vor Erleichterung einen Satz, als Johannes Gerlitzen aus dem Unterholz auftauchte und in einem Atemzug Teufel und Dreifaltigkeit verfluchte.
    Elisabeth Gerlitzen fluchte gleichermaßen, als Franz Patscherkofel und Leopold Kaunergrat ihren Ehemann in die Küche brachten, der ein Taschentuch zwischen den Zähnen stecken hatte und auf zwanzig Meter nach Schnaps stank – drei Viertel der Flasche hatten ihm die Holzfäller zur Schmerzbetäubung eingeflößt.
    »Kruzifixn sacra, es depperten Mannsbülder könnts a nia aufpassn, und immer de Sauferei! Hiazn schleichts enk owi ins Tal und holts ma den Doktor auffi!«, polterte sie, doch Johannes spuckte das Taschentuch aus und keuchte unter Schmerzen:
    »Wegn so aner Klanigkeit brauchts do net den Hochg’schissenen holn, bluatet jo net amoi, hol liaba nu a Flaschn Schnaps.«
    In St.   Peter am Anger gab es oft Verletzte, wenn die Männer in den Wald gingen. 1959 konnte jeder mit einer
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