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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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1.
    D ie Herausforderung für heute: bei Tempo siebzig ein Brötchen aufschneiden, es mit Halbfettmargarine bestreichen und mit Tomatenscheiben belegen, diese mit Salz bestreuen, das Ganze auf einer kurvenreichen Landstraße. Seit Nürnberg leitete mich Bruce, die neue Stimme meines Navigationsgeräts, über die Dörfer. Inzwischen war ich kurz vor Ingolstadt und bereute längst, mir Bruce angeschafft zu haben. Der Held, der Ihnen sagt, wo es langgeht – knallhart und sexy, für nur 9,95. Immer, wenn ich versuchte, wieder auf die Autobahn aufzufahren, sagte er lässig: »Baby, das ist keine gute Idee«, und befahl mir zu wenden.
    Die aufgeschnittenen Brötchenhälften lagen auf dem Beifahrersitz, neben der Plastiktüte mit den Tomaten und der offenen Margarinedose. Ich hatte das Messer schon in die Margarine getaucht, versuchte, die nächste Kurve zu nehmen, ohne den Kaffee auf der Ablage ins Rutschen zu bringen. In meiner Jackentasche vibrierte mein Handy. Ich ließ das Messer in der Margarine stecken und warf kurz einen Blick aufs Display, bevor ich abnahm. Die Nummer unserer Agentur.
    »Hi, Süße«, sagte Julia. »Wo bist du jetzt?«
    »Frag nicht. Kirchtürme. Kühe. Kurven. Auf der A9 ist Stau. Was ist bei euch los? Ist Chris schon auf der Messe? Hat der Typ vom WDR sich endlich gemeldet? Hat … Hallo! Es ist gelb!«
    Vor mir aufleuchtende Bremslichter. Die Heckklappe eines Kleinwagens, geschätzte zehn Zentimeter von meiner vorderen Stoßstange entfernt. Eine Ampel, die von Gelb auf Rot schaltete. Und ein BMW, hupend, an meiner hinteren Stoßstange.
    »Gina? Ist was?«
    »Nein. Alles okay.«
    Den Kaffee hatte ich gerade noch retten können. Aber Brötchenhälften, Margarine und Tomaten waren in der unergründlichen Dunkelheit des Fußraums verschwunden.
    »Sag mal, Julia, hat vielleicht jemand für mich … angerufen?«
    »Jemand?«
    »Du weißt schon, wer.«
    Ich hörte Julias gequältes Stöhnen und im Hintergrund Glockengeläut von der Kölner Domkirche. Und in diesem Moment, an dieser Ampel, im Bus unserer Agentur, blind im Fußraum umhertastend, überfiel mich das Heimweh mit aller Macht. Heimweh nach Köln. Nach meinem Schreibtisch in der Agentur. Den beiden Telefonen, die immer gleichzeitig klingelten, dem Amorschlumpf auf dem Computer und der Sammlung der kitschigsten Kaffeebecher der Welt, bei deren Anblick meine Chefin Christiane immer eine Augenbraue hochzog. Sogar nach Christianes sorgfältig zu Raupenform zurechtgezupften Augenbrauen hatte ich Sehnsucht. Und natürlich nach Julia. Wir kannten uns, seit unsere Mütter uns als Achtjährige zusammen in eine Blockflötengruppe gesteckt hatten. Nach unserem ersten Flöten-Fechtkampf freundeten wir uns schnell an, tauften unsere tadelnde Lehrerin die Blödflocke und trotzten ihr fortan gemeinsam. Später besuchten wir dasselbe Gymnasium, quälten uns anschließend zusammen durch Praktika und Seminare, bis ich mein Studium aufgab und in der Künstleragentur Lachschmiede landete. Akquise, Organisation, Tourbegleitung, Buchhaltung, Betreuung von verzweifelten Komikern. Vor zwei Jahren, als wieder einmal eine Sekretärin Christianes Temperament nicht standgehalten hatte, war es mir gelungen, Christiane zu überzeugen, dass sie keine ausgebildete Sekretärin, sondern einen geduldigen Engel brauchte. Und seitdem teilten Julia und ich ein Büro. Auch Männer hatten uns nicht dauerhaft trennen können. Weder der Lebensabschnittslangweiler, mit dem ich zwei öde Jahre verbracht hatte, noch Julias neueste Errungenschaft, das Karöttchen, der Vegan-Koch vom Café Meatless Meeting an der Ecke. Wir waren immer tolerant gewesen bei Verliebtheit, eine hatte der anderen den vorübergehenden Totalausfall der für Urteilsfähigkeit und Vernunft zuständigen Hirnareale nachgesehen. Aber jetzt sagte Julia, ungewohnt streng: »Schlag ihn dir aus dem Kopf, Gina. Ja, Mister Du-weißt-schon-wer hat angerufen, zwei Mal!, er hat sich über das Catering bei seinem Auftritt beschwert, er wollte Chris sprechen wegen der Sendung und nach dir hat er nicht gefragt.«
    In diesem Moment griff ich in die Margarine.

    Schon beim Auftauchen aus dem Fußraum, das Telefon in der einen Hand, die andere voller Tomatenmatsch und Margarine, spätestens aber beim Anfahren, als der Kaffeebecher mir entgegensegelte, wusste ich, dass alles noch schlimmer kommen würde. Bruce schien auch dieser Meinung zu sein. Von Kilometer zu Kilometer wurde er unfreundlicher. Ich war auf seinen Befehl von der
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