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Fluch der Unsterblichkeit

Fluch der Unsterblichkeit

Titel: Fluch der Unsterblichkeit
Autoren: Roger Zelazny
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»Du bist ein Kallikanzaros«, verkündete sie plötzlich.
    Ich drehte mich auf die linke Seite und lächelte in die Dunkelheit.
    »Ich habe die Hufe und die Hörner im Büro gelassen.«
    »Aber du kennst die Geschichte!«
    »Ich heiße wirklich Nomikos .«
    Ich griff nach ihr, fand sie.
    »Und wirst du diesmal die Welt zerstören?«
    Ich lachte und zog sie an mich.
    »Ich werde darüber nachdenken. Wenn die Erde auf diese Weise zerbröckeln soll ...«
    »Du weißt doch, Kinder, die hierzulande zu Weihnachten geboren werden, sind von Kallikanzaroi-Blut«, sagte sie, »und du hast mir einmal gesagt, daß dein Geburtstag ...«
    »Ja, schon gut!«
    Es war mir plötzlich aufgegangen, daß sie nur halb im Scherz sprach. Und wenn man einiges über die Dinge weiß, auf die man gelegentlich an den Alten Orten, den Heißen Orten, trifft, dann könnte man fast an die Mythen glauben – wie zum Beispiel an diese panähnlichen Geister, die in jedem Frühling zusammenkommen und zehn Tage lang an dem Weltenbaum sägen und die erst im letzten Augenblick durch das Läuten der Osterglocken vertrieben werden. Kassandra und ich waren es nicht gewohnt, über Religion, Politik oder die Folklore der Ägäis im Bett zu diskutieren. Aber, da ich in dieser Gegend geboren bin, sind die Erinnerungen doch immer noch irgendwie lebendig.
    »Du hast mir weh getan«, sagte ich, nur halb im Scherz.
    »Du tust mir aber auch weh ...«
    »Verzeih!«
    Ich entspannte mich wieder.
    Nach einer Weile erklärte ich ihr: »Früher, als ich noch ein Rotzjunge war, da haben mich die andern Rotzjungen immer herumgeschubst und ›Konstantin Kallikanzaros‹ genannt. Als ich größer und häßlicher wurde, haben Sie's aufgegeben.«
    »Konstantin? So hast du also geheißen? Ich habe mich schon gefragt ...«
    »Jetzt heiße ich Conrad, also vergiß den anderen Namen.«
    »Aber er gefällt nur. Ich möchte dich viel lieber Konstantin nennen als Conrad.«
    »Wenn es dich glücklich macht ...«
    Der Mond schob sein verwüstetes Gesicht über das Fensterbrett herauf, um mich zu verspotten. Die Nacht war kalt, sie war feucht, sie war dunstig, wie sie es hier fast immer ist.
    »Der Kommissar für ›Kunst, Monumente und Archive‹ auf dem Planeten Erde wird kaum die Absicht haben, den Weltenbaum zu fällen«, krächzte ich.
    » Mein Kallikanzaros«, sie sagte es zu rasch, »das habe ich auch nicht sagen wollen. Aber es gibt jedes Jahr weniger Glocken, und es richtet sich ja nicht immer alles nur nach unseren Wünschen. Ich hab' nun einmal das Gefühl, daß du irgendwie die Dinge verändern wirst! Vielleicht ...«
    »Du irrst dich, Kassandra.«
    »Und ich habe Angst, und mir ist kalt ...«
    Und sie war so schön und reizend in der Dunkelheit, daß ich sie fest in die Arme nahm.
    Bei dem Versuch, die Geschehnisse dieser letzten sechs Monate zu rekonstruieren, wird mir jetzt klar, daß – während wir Schutzwälle der Leidenschaft um unseren Oktober und die Insel Kos auftürmten – die Erde bereits in die Hand jener Mächte gefallen war, die alle Oktober zerstören. Von allen Seiten beordert, marschierten schon damals die Kräfte der endgültigen Zerstörung im Parademarsch mitten durch die Ruinen: gesichtslos, unausweichbar, die Waffe im Anschlag. Cort Myshtigo war in dem uralten Sol-Bus Neun in Port-au-Prince gelandet. Die Rakete hatte ihn mit einem Stapel Hemden, Schuhen, Unterwäsche, Socken, einer Auswahl Weine, Medikamenten und den neuesten Video-Bändern der Zivilisation von Titan hergebracht. Ein reicher und einflußreicher Galakto-Journalist, dieser Myshtigo. Wie reich in Wirklichkeit, das sollten wir erst ein paar Wochen später erfahren; wie einflußreich, das fand ich erst vor fünf Tagen heraus.
    Als wir durch die verwucherten Olivenhaine wanderten, uns einen Weg durch das Fränkische Kastell bahnten oder unsere Spuren mit den Hieroglyphen-Abdrücken der Silbermöwen mischten, dort auf dem nassen Sand der Strände von Kos, verbrannten wir Zeit und warteten auf eine Erlösung, die wir nie wirklich hätten erwarten dürfen.
    Kassandras Haar hat die Farbe der Katamara-Oliven. Es schimmert. Ihre Hände sind sanft, die Finger kurz, mit feinen Schwimmhäuten versehen. Die Augen sind sehr dunkel. Kassandra ist nur etwa zehn Zentimeter kleiner als ich, und das macht ihre Anmut zu einer Leistung, da ich gut über einsachtzig groß bin. Natürlich wirkt jede Frau graziös und hübsch, wenn sie neben mir geht, denn ich bin es überhaupt nicht: meine linke Wange war zu
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