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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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Tochter Carola. Hat er jemals etwas darüber erzählt?«
    Stummes Kopfschütteln war auch eine Antwort. Betty hatte eine Pause nötig. Die Tränen rannen ihr das Gesicht hinunter.
    »Möchtest du noch etwas Wein?« fragte Mike.
    Sie nickte. Eigentlich hatte sie mehr als genug. Mike goß zu dem Wein einen kräftigen Schuß Mineralwasser. Völlig betrunken war Betty für uns wertlos.
    Wir mußten weitermachen. Noch immer wußten wir nicht, was denn nun eigentlich auf dem Film zu sehen war. »Nach John Masuls Tod hast du dir den Film angesehen?« tippte ich.
    »Ja. Eigentlich wollte ich nicht, doch dann war ich neugierig. Hätte ich es nur nie getan!«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ich warf Mike einen Blick zu. Er verstand.
    »Betty«, bat er mit sanfter Stimme, »bitte erzähl weiter! Was zeigt der Film?«
    »Es war das Scheußlichste, was ich je gesehen habe. Ein Mädchen wird sexuell mißbraucht, gefoltert und dann ganz langsam umgebracht. Und die Kamera dreht alles mit. Diese Bilder verfolgen mich seit dieser Zeit.«
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»Handelt es sich um eine junge, blonde Frau?«
    »Ja. Sie muß Ausländerin gewesen sein. Sie hat geweint und geschrien. Ich kannte die Sprache nicht, aber es hat sich angehört wie russisch oder polnisch.«
    »Es war polnisch. Sie hieß Elvira und war Masuls letzte Liebe.«
    »Was? Ich hatte keine Ahnung! Und er hat den Film gesehen? Wie schrecklich für ihn. Hat er sich deshalb das Leben genommen?«
    »Vielleicht. Aber es gab noch andere Gründe. Wer könnte den Film gedreht haben?«
    »Ich dachte, das wüßtet ihr! Es war Elvis Wüsten.«
    »Ist das eine Vermutung oder mehr? Sein Name stand doch bestimmt nicht im Abspann.«
    »Nein. Es waren die Bilder. Ich kenne seine Art, sich mit der Kamera lüstern-langsam an Menschen oder Gegenstände heranzuschleichen, sie zu umgarnen, sie zu packen und schließlich zu verschlingen. Außerdem hörte ich seine Stimme. Er gab dem Mann, der sich das Mädchen vorgenommen hat, Anweisungen.«
    »Seine Stimme?« Ich verstand nicht gleich. Mike guckte genauso erstaunt wie ich.
    »Der Film ist noch nicht ganz fertig. Die Tonbearbeitung fehlt. Er ist zwar geschnitten, doch er hat noch den Originalton auf einer der beiden Tonspuren. Deshalb weiß ich, daß es Elvis Wüsten war. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel!«
    »Warum hast du Wüsten nicht erpreßt?« Mikes Frage war logisch.
    »Der hätte mich sofort erkannt. Außerdem weiß ich, daß bei ihm nichts zu holen ist. Von Masul wußte ich, daß Brokkoli mit diesen Filmen Geschäfte macht. Und ich wußte, daß er eine Menge Kohle besitzt.«
    »Und der andere Mann? Der Mörder?«
    »Im Bild ist er nicht zu sehen. Nur seine Hände und Unterarme. Doch seine Stimme ist auch drauf.«
    »Was sagst du da? Ist es jemand, den wir kennen?« Wir hiel-
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ten den Atem an. Ich dachte an BIG Boss und den Film übers Toten.
    »Ja, wir alle kennen ihn.« »BIG Boss?« fragte ich.
    Sie schaute mich erstaunt an. »Nein! Der doch nicht! Es war Rudi Mühlen. Er hat das Mädchen ermordet!«
    Jeder spürt den eigenen Schmerz
    »Maria! Wir müssen den Film aus dem Büro holen«, bestimmte Mike. »Kommst du mit?«
    Betty hatte uns die Stelle in ihrem Schreibtisch beschrieben, an der sie den Film versteckt hatte. Ich hatte einen Schlüssel fürs Büro. Betty lag in meinem Schlafzimmer und schlummerte. Sie hatte noch einen halben Liter Wein in sich hineingekippt und war dann völlig benommen in die Kissen gefallen.
    Ich hatte nicht das Herz, sie in dem Zustand in ihre Wohnung bringen zu lassen. Außerdem war sie bei mir sicherer als zu Hause. Bevor wir die Wohnung verließen, schauten wir noch einmal nach ihr. Sie schnarchte ein wenig, doch ihr Atem ging ruhig.
    Ich schloß die Tür gut ab. Dann starteten wir. Es war eine laue Sommernacht. Fast Mitternacht. Der Verkehr floß nur noch spärlich, so daß wir in fünf Minuten den Fuß des City-Centers erreichten. Sanftes Licht drang aus dem Gebäude.
    Wir schritten zur Eingangstür. Der Pförtner, der hinter einer Mauer aus grauem Granit thronte, rieb sich die Augen.
    »Guten Abend, Frau Grappa. Guten Abend, Herr Zech«, nuschelte er verschlafen.
    »Ein aktueller Dreh«, lächelte ich, »Großbrand im Hafen. Daß solche Dinge immer nachts passieren müssen!«
    Er trug uns in das Einlaßbuch ein. Ich warf schnell einen Blick auf die anderen Aufzeichnungen. Rudi Mühlen hatte sich
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um 21 Uhr eingetragen. Doch ein Verlassen des Hauses war nicht vermerkt. Er
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