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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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die Versicherung zahlte, und Bertha zog in mein Haus, in dem gerade eine Wohnung frei geworden war.
    Bertha war schrill und rüstig wie ein alter Drache, der sein Leben lang junge Prinzen geknuspert hatte. Obwohl sie die Sechzig längst überschritten hatte, fand ab und zu ein männliches Wesen den Weg in ihr Bett. Keine Tattergreise, sondern recht rüstige Exemplare dieser Spezies, auch wenn sie die Rolle vorwärts über die Spüle vermutlich freiwillig aus ihrem Repertoire gestrichen hatten.
    Bertha nannte die Herren »Pralines«. An ihrem 65. Geburtstag hatte sie mich mit der Feststellung überrascht, künftig auf schokoladenüberzogene Appetizer verzichten zu wollen.
    »Ab heute bin ich eine würdige alte Dame«, kündigte sie an, »keine Männer mehr. Ich habe keine Lust mehr auf schlaffes Fleisch, endlose Krankengeschichten, Haarschuppen und wehe Füße. Die Heldentaten aus dem letzten Krieg öden mich an, und die Kochrezepte dahingeschiedener Gattinnen rauben mir den Schlaf. Und jetzt geh ich los und kauf mir eine Perlenkette.«
    Eine Stunde später kam sie mit einem zweireihigen, vornehm glänzenden Austernprodukt zurück. Es zierte bereits ihren Hals.
    »Ist die etwa echt? Natürlich ist die echt! Wie viel?« fragte ich.
    »Ich habe keinen Pfennig dafür bezahlt!«
    Sie grinste schelmisch, zog ihren grellroten Lackmantel aus, schlüpfte aus ihren hochhackigen Schuhen und setzte den Hut mit der Straußenfeder ab.
    Der Champagnerkorken knallte. Ich wußte, daß Bertha Biber auf ihre eigene Art eingekauft hatte. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung über eine Trickdiebin, die den Inhaber eines Juwelierladens auf Bierstadts Goldener Meile verwirrt und um eine Perlenkette betrogen hatte.
    13 Eine Tür zum Dach
    Der Mann aus meinem Traum ließ mich nicht mehr los. Nach einem opulenten Frühstück mit Bertha dachte ich nach. Alles war so konkret gewesen: Das Zimmer, das nicht meins war, die Aussagen des Unbekannten, der sich für tot hielt, und der dreiste Duft der Hyazinthen.
    Ich nahm mir ein paar Stunden Zeit und durchforstete das Pressearchiv der Bibliothek. Doch nirgendwo fand ich einen Hinweis auf einen Mann, der sich vom Dach des neuen Verlagshauses in den Tod gestürzt hatte.
    Ich war drauf und dran die Sache zu vergessen, sie einfach abzulegen in eine Schublade meines Gehirns, die ich nicht mehr öffnen würde. Er hatte mich aufgefordert, seinen Mörder zu finden, doch wo sollte ich ihn suchen, wenn es noch nicht mal eine Leiche gab?
    Ich hatte Bertha von dem beklemmenden Traum erzählt. Doch auch sie wußte keinen Rat.
    »Vergiß das Ganze«, meinte sie, »du machst dich sonst völlig verrückt.«
    Also vergaß ich das Ganze und wandte mich meinem Tagesgeschäft zu, dem Schreiben von Zeitungsberichten, die den Lesern ein Teil der Wahrheit oder der Wirklichkeit vermitteln sollten.
    Das »Bierstädter Tageblatt« war noch immer mein Haupternährer, doch ich arbeitete auch für Radios und Fernsehanstalten, rezensierte Neuerscheinungen und schrieb Kochbücher. Vorzugsweise über die »Italienische Küche«. Für ein Gourmet-Magazin veranstaltete ich ab und zu Wochenendseminare, in denen gutbetuchte Managergattinen für 2000 Mark pro Wochenende lernen konnten, wie man Spaghetti auf den Punkt kocht. Ich war an den Seminaren mit 30 Prozent beteiligt, was die roten Zahlen auf meinem Konto in den schwarzen Bereich brachte.
    Ein ruhiges Leben - zu ruhig für meinen Geschmack. Es war Zeit, dies zu ändern.
    14
     

Etwa eine Woche nach dem Traum fuhr ich mit meinem Auto am Bierstädter Hauptbahnhof vorbei. Eigentlich war ich in Eile, doch als ich das Verlagshochhaus sah, das sich neben der Straße protzig erhob, stoppte ich und suchte mir einen Parkplatz.
    Dann stand ich davor. Das Haus bestand aus zwei Gebäudeteilen. Ein fast dreieckiger Bau mit abgerundeten Linien - er wurde »Tortenstück« genannt - schmiegte sich in die Kurve der Straße, dahinter erhob sich der hohe schlanke Turm der achtzehn Etagen. Viel Glas war verbaut worden, Edelstahl und Marmor. An einer schmalen Seite sausten gläserne Fahrstühle auf und ab.
    Ich trat durch das Portal und stand verloren in einer fünfstöckigen Halle, die von der Frühlingssonne durchflutet wurde. Mein Blick fiel auf Kunst. Ein überlebensgroßer kupferner Mann reckte zwei lange Arme in die Luft - so, als wolle er die ganze Welt umfassen. Ein Bildhauer aus den neuen Bundesländern hatte hier gewirkt.
    Ich sah mir den Burschen näher an. Unter der Brust des
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