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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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und genossen ein köstliches Mahl.
    Der Oberst erzählte, wie er es dem Russen vor über 50 Jahren gegeben hatte, die Schauspieler brabbelten über die neueste »Orlando«-Inszenierung an ihrer Provinzbühne, die Sekretärin gestand ihre Neigung zu Astrologie, und die Unternehmerin trank Brüderschaft mit dem Vorruheständler aus dem Stahlbetrieb. Alles war gut.
    »Und nun gibt‘s Espresso und einen schönen, sanften Grap-pa!« schloß ich den ersten Teil des Seminartages ab. Hier lachten immer alle. Heute war es nicht anders.
    Erschöpft durch Lehren, Essen und Trinken fiel ich abends ins Bett meines Einzelzimmers. Morgen noch den Vortrag über italienische Weine, dachte ich, dann habe ich es hinter mir. Was tut der Mensch nicht alles, um finanziell über die Runden zu kommen!
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Ich verschenke meinen Traum
    »Du wirst nicht glauben, was passiert ist!« empfing mich Bertha Biber aufgeregt, als ich müde und mindestens drei Pfund schwerer zu Hause auftauchte. Der Flug von Florenz zum Bierstädter Regionalflughafen war ohne Zwischenfälle verlaufen -wenn man von wetterbedingten Turbulenzen absah, die die kleine Maschine über den Alpen gebeutelt hatte.
    »Dann laß dich nicht lange bitten«, sagte ich zu Bertha, »rück raus mit der Story.«
    Sie hatte inzwischen den Karton mit Chianti classico entdeckt und blickte ihn sehnsüchtig an.
    »Ist da etwa Wein drin?« kam es dann schüchtern, aIs ich nicht reagierte.
    »Ja, du Schnapsdrossel«, lachte ich, »schöner Chianti mit dem >Gallo nero< auf der Banderole.«
    »Als ich dich kennenlernte, habe ich nur Kräutertee gekannt, liebe Grappa«, log sie, »du hast mich in die Mysterien des Traubensaftes eingeführt.«
    »Ach ja? Und was war mit diesen brutal süßen Damenlikören, die du jeden Abend lustvoll geschlürft hast?«
    Sie überhörte meinen Hinweis auf die Welt des schlechten Geschmackes, denn sie kramte in der Küchenschublade nach dem Korkenzieher.
    »Nun erzähl sie schon, deine Story!« forderte ich, als sie mit zwei Gläsern und der Flasche zurückkam.
    »Zuerst trinken wir auf deine Rückkehr!«
    Nach dem »Plopp« reichte sie mir die Montagsausgabe des »Bierstädter Tageblattes«. Ich las:
    Ein Selbstmörder hat am gestrigen Sonntag Polizei und Feuerwehr in Atem gehalten. Der 45jährige Fernsehjoumalist John M. war unbemerkt aufs Dach des Verlagshauses am Bahnhof geklettert und drohte, sich hinunter zu stürzen. Polizei und Feuerwehr, die durch Passanten alarmiert nach wenigen Minuten am Ort des Geschehens eintrafen, gelang es nicht, den Lebensmüden von seiner Tat abzubringen. Wenige Minuten, nachdem der Polizeipsychologe den Mann per Megaphon zur Aufgabe zu überreden
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versucht hatte, sprang der 45jährige vom Dach des achtzehnstöckigen Neubaus. Er war sofort tot. ]ohn M. hinterläßt Frau und Tochter.
    Unklar ist, wie der Tote aufs Dach gekommen ist. Nach Angaben der Polizei ist der Zugang auf das Gebäude normalerweise gesichert. Die Staatsanwaltschaft schließt Fremdeinwirkung aus. Die Ermittlungen dauern an.
    Ich griff hastig zum Weinglas und trank.
    »Das war er!« rief ich aus. »Das war der Mann aus meinem Traum! Er muß es sein. Das Alter stimmt und die Umstände auch. Hat irgendeine Zeitung ein Foto von ihm veröffentlicht?«
    Bertha schüttelte den Kopf. »Das tun die doch nie, das müßtest du doch am besten wissen. Wenn du wirklich wissen willst, ob er es ist, müssen wir seinen Namen rauskriegen und ihn uns im Leichenschauhaus angucken!«
    »Deine Ideen sind außergewöhnlich. Aber - was soll das bringen? Selbst wenn er der Mann aus meinem Traum ist, ist er freiwillig gesprungen. Warum sollte ich einen Selbstmord untersuchen? Du hast mir doch auch geraten, den Traum zu vergessen!«
    Bertha akzeptierte meine Weigerung nicht. »Da wußte ich aber noch nicht, daß er tatsächlich springt. Grappa! Der Mann in deinem Traum fordert dich auf, seinen Mörder zu suchen! Du hast das zweite Gesicht!«
    »Quatsch! So was gibt es nicht. Wenn dich die Sache so interessiert, dann kümmere du dich doch drum!« schlug ich Bertha vor. »Ich muß mich mit den Dingen befassen, die Geld bringen, denn ich muß meinen Lebensunterhalt verdienen. Also, Bertha, ich trete dir meinen Traum gerne ab! Du kannst ihn nehmen und damit machen, was du willst! Was sagst du zu meinem Vorschlag?«
    »Okay«, stimmte sie zu, »doch ins Leichenschauhaus mußt du noch mitkommen. Ich habe den Mann schließlich noch nie gesehen.«
    »Und wenn er es nicht
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