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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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Gewißheit. Eine lila, fast aufgeblühte Hyazinthe sah mich an. Ich suchte nach einer Nachricht. Da war ein Briefumschlag. Mit zitternden Händen riß ich ihn auf. Auf einer weißen Karte standen nur vier Worte: Wer ist mein Mörder?
    Ein Trip in meine jüngere Vergangenhei t
    Klassentreffen war ich bisher immer aus dem Weg gegangen. Ich täuschte Krankheit, Urlaub oder viel Arbeit vor, wenn mich eine meiner früheren Klassenkameradinnen anrief und zu einem Wiedersehen einlud. Die Jahre in dem katholischen »Gymnasium für Frauenbildung« waren ätzend genug gewesen und mußten nicht noch verklärt werden. Seit dieser Zeit bekomme ich bei einer Gruppe von mehr als drei Mädels, die gackern wie die Hühner, einen dicken Hals.
    Ich habe meine Lehrer nie gemocht und sie geärgert, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Leider revanchierten sie sich durch das Mittel der Benotung.
    Große Leistungen hatte ich nur in den geisteswissenschaftlichen Fächern erbracht, bei den Naturwissenschaften war ich rettungslos überfordert gewesen. Doch Fächer wie »Religion«, »Geschichte« und »Kunst« hatten mich immer wieder rausgerissen.
    Seit damals kann ich auf Wunsch über alles schwafeln und jeden Pinselstrich auf einer Leinwand bis zum Geht-nicht-mehr interpretieren. Die zahlreichen Haupt- und Nebensünden bete ich bei Bedarf auch noch im Schlaf herunter.
    Ganz anders beim einfachen Dreisatz oder der Prozentrechnung. Wenn ich viele Zahlen sehe und rechnen soll, bricht mir
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der kalte Schweiß aus. Ein einfacher Taschenrechner gehört daher zu der Grundausstattung meiner Handtasche.
    Klerikales Gewäsch, schöngeistiges Geschwafel - das alles wäre zu ertragen gewesen, wenn die Lehrer nicht ständig Anstoß an meiner Disziplin genommen hätten. Tagelanges Schuleschwänzen und Kiffen während der Pausen akzeptierten sie genauso wenig wie das Tragen eines superkurzen Minirocks und einer durchsichtigen Bluse im Religionsunterricht. Irgendwie hatte ich das Abitur dann aber doch noch geschafft.
    Rita Steiner war ein Mädchen aus meiner Abiturklasse. Ich hatte sie schon damals nicht ausstehen können, denn sie war das genaue Gegenteil von mir.
    »Das ist aber eine Überraschung!« sagte ich ohne Begeisterung, als sie mich nach kurzer telefonischer Vorankündigung in der Redaktion aufsuchte.
    »Hallo, Maria.« Ihre Stimme war genauso färb- und kraftlos wie vor zwanzig Jahren. Sie war noch immer sehr schlank, trug das Haar noch immer in großen blonden Wellen, die ihr auf die Schultern fielen. Sie war in den zwanzig Jahren nicht gealtert, sondern verwelkt. Das blonde Haar war nicht so golden wie früher, sondern wirkte wie angestaubt. Die Haut war zwar faltenlos, doch grau und zu trocken. Das Chanel-Kostüm stand ihr gut, schlotterte aber ein wenig um die Hüften und hatte schon bessere Tage gesehen. Die flachen Ballerinas waren vorne angestoßen.
    »Nach so langen Jahren«, meinte sie befangen. Sie ließ den Satz in der Luft hängen und wartete darauf, daß ich der Situation die Spannung nehmen würde.
    Ich hatte keine Lust dazu. Zu oft hatte mich dieses Mädchen mit seiner sanften, aber auch intriganten Art in die Pfanne gehauen - damals vor- zwanzig Jahren.
    »Was willst du, Rita?« fragte ich grob.
    Sie antwortete nicht, sondern brach in Tränen aus.
    »Mein Gott«, stammelte ich erschrocken, »ich hab‘s doch nicht so gemeint. Rita, bitte! Beruhige dich doch!«
    Nach fünf Minuten hatte sie sich gefaßt. Ich stellte ihr eine
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Tasse Kaffee hin. Sie trank in kleinen Schlückchen, spreizte dabei den kleinen Finger der rechten Hand ein wenig ab. Zierlich und possierlich, ganz Frau.
    Ihre Tränen waren rasch versiegt. Dann sagte sie: »Ich weiß, daß wir nicht die besten Freundinnen waren. Aber ich freue mich, dich zu sehen. Du siehst gut aus, Maria. Und du hast es zu etwas gebracht.«
    »Mag sein!«
    Ich war verblüfft durch diese Gesprächseröffnung. Sie braucht wohl meine Hilfe, sonst würde sie so etwas nicht sagen, fuhr es mir durch den Kopf. Rita war die Hübscheste in der Klasse gewesen, der Liebling der Lehrer.
    »Und du? Was ist aus Rita Steiner geworden? Der hübschen Augenweide, dem kleinen Sonnenschein, dem Liebling der Lehrer?« Mir gelang es nicht, die Ironie aus meiner Stimme wegzuschnippen.
    »Ich habe kein so leichtes Leben gehabt, wie du vielleicht denkst!« entgegnete sie, und ihre Stimme gewann an Kraft. »Ich war verheiratet und habe eine 16jährige Tochter. Sie heißt Carola. Und du? Hast du
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