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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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der Besinnung am Sarg meines Bruders. Wissen Sie, sie hat ihn sehr geliebt und ...«
    Der Friedhofsmensch schaute Bertha an. Sie bleckte die dritten Zähne. Das reichte.
    »Sie bringen mir den Schlüssel aber wieder!« forderte er.
    John Masul war der einzige Tote, der sich an diesem Nachmittag in der Halle befand. Das späte Frühlingslicht fiel durch die hohen Fenster auf einen Sarg, der mit weißen und gelben Chrysanthemen geschmückt war. Ich hatte Hyazinthen befürchtet und atmete erleichtert auf.
    »Faß mal mit an!« befahl Bertha. Sie stand an der rechte Seite des Sarges und versuchte, den Deckel anzuheben. Er war schwer, doch noch nicht verschraubt. Ich kam mir vor wie in einem Dracula-Film.
    Meine Hände packten zu, und der Deckel hob sich sachte. Dann sahen wir ihn. Sein Gesicht war mager, die Wangen eingefallen, die Lippen fast nicht zu sehen. Das Haar hatte eine nittelbraune Farbe, die Augen hatte man ihm zugedrückt,
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doch ich wußte, daß sie rot entzündet gewesen waren, bevor er starb.
    Ich klappte den Deckel zu und atmete durch. »Und? Ist er‘s, oder ist er‘s nicht?« fragte Bertha ungeduldig.
    Mein Nicken war Antwort genug. Bertha hob die Blumen auf, die vom Sargdeckel auf den Boden gefallen waren, und dekorierte sie mit kühnen Gesten auf dem polierten Holz. Dann meinte sie entschlossen: »Und jetzt nix wie weg!«
    »Und der Schlüssel?« fragte ich, noch immer beklommen von der Begegnung mit meinem »Traum-Mann«.
    »Den lassen wir stecken!«
    Die Frau auf dem Dach und ein unerwarteter Gruß
    Das einzige, zu dem mich die verrückte Bertha an diesem Tag noch überreden konnte, war ein kurzer Anruf bei der Kriminalpolizei. »Gibt es irgendwo einen klitzekleinen Hinweis, daß dieser Masul nicht freiwillig gesprungen ist?« fragte ich meinen langjährigen Kontaktmann im Polizeipräsidium. Er verneinte.
    »Hat der Tote einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Davon ist nichts bekannt. Es handelte sich wohl um eine Kurzschlußhandlung. Seine Frau war ebenso entsetzt wie die Arbeitskollegen des Mannes. Allerdings - er soll berufliche Probleme gehabt haben.«
    »Wissen Sie, wie er auf das Dach des Hauses gekommen ist?«
    »Nein. Die Tür stand wohl versehentlich offen. Einen Schlüssel haben wir bei ihm nicht gefunden. Wir forschen gerade nach, wer für die Tür zuständig ist. Warum interessiert Sie der Fall, Frau Grappa?«
    »Es handelt sich doch immerhin um einen Kollegen, den ich
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gekannt habe«, log ich. »Ich habe kurz vor seinem Tod noch mit ihm gesprochen.«
    »Und? Hat er was von seinem Plan erwähnt?«
    »Aber nein. So befreundet waren wir auch wieder nicht.«
    »Ach ja, noch etwas«, meinte der Kommissar, »zwei Tage vor dem Sturz hat sich eine Frau nach der Tür zum Dach erkundigt. Kann sein, daß sie etwas mit dem Selbstmord zu tun hat. Wir versuchen gerade, sie zu finden.«
    Ich schluckte. »Wer hat Ihnen von der Frau erzählt?«
    »Ein junger Mann, der dort arbeitet. Er besitzt eine Firma in der achtzehnten Etage. Er hat die Frau getroffen, als sie die Örtlichkeiten inspizierte. Er ist mit ihr im Lift nach unten gefahren. Sie wollte unbedingt wissen, wie man aufs Dach kommt.«
    Mein Stimme zitterte leicht, als ich fragte: »Konnte er sie beschreiben?«
    Er lachte. »Ja. Und Sie werden es nicht glauben, Frau Grappa! Die hatte Ähnlichkeit mit Ihnen! Um die Vierzig, feuerrotes halblanges Haar, selbstbewußtes Auftreten.«
    »Das ist ja ein Ding!« Ich tat erstaunt. Meine Balance war wieder da, als ich scherzte: »Vielleicht war ich es ja! Haben Sie mal daran gedacht, Herr Beyer?«
    »Guter Witz. Ich glaube nicht, daß Sie die Zeit haben, sich in Hochhäusern herumzutreiben. Oder waren Sie es?«
    »Wenn ich es gewesen bin, dann würden Sie‘s doch bestimmt rauskriegen, Sie Spürnase!«
    Nach dem Gespräch saß ich eine Weile grübelnd an meinem Schreibtisch. Warum benahm ich mich so merkwürdig? Ich hätte doch zugeben können, daß ich die Frau im Hochhaus gewesen war. Ein Klingeln an der Haustür unterbrach meine Gedanken.
    »Ich komme vom Blumengeschäft Mager und habe eine Bestellung für Frau Maria Grappa!« tönte es aus der Sprechanlage. Ich fühlte, daß das nächste mysteriöse Ereignis auf mich zukam. Nach außen gleichgültig, aber mit bebendem Herzen
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nahm ich die verpackte Blumenschale entgegen und trug sie in die Küche. Das Papier war nicht dicht genug, um den dreisten Geruch zu bändigen.
    Schnell riß ich die Verpackung herunter, denn ich wollte
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