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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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dich leiden. Und jetzt hast zu die Stirn, hier aufzukreuzen!« Ich merkte, wie mir der Ärger den Rücken hochkroch.
    »Also gut! Kein Mitleid, keine Freundschaft - ich hab‘s be-
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griffen. Und wenn wir schon über früher reden ... du stehst in meiner Erinnerung auch nicht gerade glänzend da. Arrogant und herrschsüchtig. Und jede, die sich nicht so verhalten hat wie du, wurde von dir verachtet. Und Verachtung tut weh!«
    »Also gleich mehrere Gründe, dieses Zimmer wieder zu verlassen! Ich halte dich nicht zurück, Rita!«
    »So schnell gebe ich nicht auf. Ich schlage dir ein Geschäft vor. Höre dir meinen Vorschlag wenigstens an. Ich stehe zurzeit völlig mittellos da. John hat jahrelang als freier Journalist gearbeitet und war nicht rentenversichert. Ich selbst habe nichts Vernünftiges gelernt. Aber - es existiert eine Lebensversicherung. Über eine Million Mark. John hat sie vor zehn Jahren abgeschlossen für den Fall, daß er durch Krankheit oder Unfall ums Leben kommt. Nun hat er aber offiziell Selbstmord begangen - und da weigert sich die Versicherung, die Summe auszuzahlen. Ich kann also zum Sozialamt gehen und Sozialhilfe beantragen, falls ich nicht das Gegenteil beweisen kann.«
    Sie goß den Kaffee hinunter und löffelte den Rest des Zuckers vom Tassenboden in den Mund. Ich wartete.
    »Wenn ich die Million aus der Versicherung bekomme«, sagte sie mit entschlossener Summe, »werde ich dir zehn Prozent davon abgeben. Das sind immerhin stolze 100 000 Mark.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dein Risiko.«
    »Das ist kein gutes Geschäft für mich. Aber - die Sache interessiert mich trotzdem.« »Du hilfst mir also?«
    »Ja. Aber wir machen einen schriftlichen Vertrag über unser Abkommen. Damit du dich später noch daran erinnern kannst, wenn der Mann von der Versicherung mit dem Geldkoffer bei dir vorbeischaut.«
    Sie stimmte zu. Ich warf meinen Laptop an, tippte den Text unserer Abmachung ein und druckte den Vertrag aus.
    Rita Masul unterschrieb. Sie hatte noch immer die niedliche Schulmädchenschrift von früher.
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»Hast du mir vorgestern Blumen geschickt? Hyazinthen?« fragte ich sie. »Nein. Warum?«
    »Vergiß es! Du mußt mir alles über deinen Mann erzählen«, forderte ich, »vor allen Dingen über diese Fernsehfirma, bei der er gearbeitet hat. Ich besuche dich heute abend zu Hause. Ist dir das recht?«
    Es war ihr recht.
    »Glaubst du an das zweite Gesicht?« wollte ich in der Tür von ihr wissen.
    »Nein. Warum fragst du?«
    »Nur so. Dann bis heute abend!«
    Grübelnd schloß ich die Tür hinter ihr. Auf was hatte ich mich da wieder eingelassen?
    Eine ganz normale Ehe mit kleinen Schönheitsfehlern
    »Ich lernte John kurz nach dem Abitur kennen. Es war die große Liebe. Er studierte noch Politikwissenschaften, ich wollte gerade mit meinem Pädagogikstudium beginnen. Hier, schau mal!«
    Rita Masul reichte mir ein Foto. Es zeigte sie und ihren Mann. Rita sah so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte, unglaublich blond, unglaublich niedlich.
    Das Mädchen Rita war rund zehn Zentimeter kleiner als ihr John und hatte die blauen Augen scheu auf sein Gesicht gerichtet. Doch nicht nur Unterwürfigkeit lag in diesen Augen, sondern auch stählerner Besitzerstolz. Er war ihre Beutel
    Ritas kleine Hand lag auf seiner Schulter - Halt suchend, aber auch festgekrallt. Das gesmokte Oberteil des pinkfarbenen Kleides und eine silberne billige Haarspange machten sie noch kindlicher, als sie damals ohnehin gewesen war.
    Er hatte einen kühnen Blick und ein energisches Kinn. Das
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braune Haar war aus der Stirn gekämmt und fiel lang in den Nacken. Schon damals war er ein bißchen bleich gewesen, aber nicht so krankhaft farblos wie in meinem Traum. Er hätte mir auch gefallen können, als ich zwanzig war.
    »Habt ihr gleich nach dem Abitur geheiratet?« wollte ich wissen.
    »Ja. Ich war schwanger.«
    »Aber deine Tochter ist doch erst 16 Jahre alt!«
    Ihre Mundwinkel deuteten Schmerz an, als sie leise sagte: »Das erste Kind hat die Geburt nicht überstanden. Es war ein kleiner Junge.«
    »Das tut mir leid!« Ich war betroffen. Sie schien tieferer Gefühle fähig zu sein, als ich bisher angenommen hatte. Trenne dich von deinen verdammten Vorurteilen, befahl ich mir, sonst kannst du diese Sache nicht vernünftig durchziehen!
    Danach erzählte sie mir eine - vermutlich geschönte - Kurzfassung ihrer Ehe, die so ablief wie bei 98 Prozent der bürgerlich Verheirateten. Erste Liebe, Heirat, Job, er
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