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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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wir, nicht wahr?« schrie sie. »Der
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Mann ein Versager, der sich umgebracht hat, die Mutter eine Versagerin, die nicht den Mut hat, dasselbe zu tun, und eine Tochter, die auf den Babystrich geht und irgendwann auf einem Bahnhofsklo tot aufgefunden werden wird!«
    Jetzt heulte sie, was das Zeug hielt. Rotz und Wasser. Jammerte zwischendurch, in dem sie kurze Töne von sich gab. Murmelte etwas von einem verkorksten Leben und davon, daß alles keinen Sinn mehr habe.
    Ich legte den Arm um sie und ließ sie heulen. Während dieser Zeit sah ich mir die Wohnungseinrichtung an.
    Rita hatte die Bude in Schuß. Alles sauber, kein Stäubchen auf den Kiefernholzmöbeln. Eine Zimmertanne verschönte den Raum, überall stand oder hing etwas. Der bleiche Strohblumenstrauß war über der Messinguhr angenagelt, der Porzellanpuppenkopf lehnte an einem kleinen Elefanten aus Speckstein, der sich wiederum auf einer verspiegelten Konsole befand. Ein niedlicher selbstgetöpferter Igel fristete sein Leben im Schatten einer dicken Bienenwachskerze. Ein perfektes Wolkenkuckucksheim!
    Rita hatte sich wieder gefaßt. Und ich hatte genug von feuchten Gefühlsausbrüchen.
    »Ich muß gehen«, sagte ich, »wir werden uns noch einmal treffen. Wann paßt es dir?«
    Sie sagte, daß sie immer Zeit hätte, und begleitete mich in den Flur. Gerade als ich die Klinke der Haustür in die Hand nehmen wollte, öffnete sie sich. Vor mir stand ein Mädchen, das mich überrascht anschaute.
    »Das ist Carola!« informierte mich Rita. Ihre Stimme klang betont gleichgültig, so als fürchte sie, ein falsches Wort zu sagen.
    »Guten Abend, Carola!« sagte ich.
    Sie reagierte nicht und drückte sich an mir vorbei. Ich sah ihr nach: Ein zartes Mädchen, blond wie ihre Mutter, mit staksigen Beinen. Sie sah erheblich jünger aus als sechzehn. Auf dem Babystrich war sie ganz sicher eine Sensation.
    Ich fühlte mich schlapp, als ich meine Wohnung betrat. Fa-
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milienbande, dachte ich, da legen zwei Menschen freiwillig ihr Leben zusammen, und aus irgendwelchen Gründen vernichten sich beide gegenseitig. Und nehmen noch ihr Kind mit. Eine Sache, die mir zum Glück erspart geblieben war.
    Meine beiden Katzen füllten meinen Pflegetrieb völlig aus. Sie waren in die Jahre gekommen und wurden immer häufiger von irgendwelchen Zipperlein geplagt, die ich wegpflegen mußte.
    Ich gab ihnen Futter und sah ihnen beim Fressen zu. Sie hatten ein harmonisches Leben, auch wenn es den strengen Maßstäben artgerechter Tierhaltung vielleicht nicht entsprach. Aber wer von uns lebt schon artgerecht, fragte ich mich.
    Ich träumte plötzlich von den 100 000 Mark. Schön wäre es, mal ein paar Jahre ohne Geldsorgen zu sein. Ausspannen, Reisen in ferne Länder. Doch der Weg zum kleinen Reichtum führte mit Sicherheit durch einen Dornenwald. Wer weiß, in welchem Zustand ich da wieder rauskomme, dachte ich.
    Kein Mann für einen festen Job
    John Masul hatte bei der »Teleboss« gearbeitet, einer privaten Fernsehproduktionsgesellschaft, die Industrie- und Werbefilme herstellte, aber auch in der aktuellen Berichterstattung tätig war. Sie stellte ein halbstündiges Regionalmagazin zusammen, das in den Kanal eines Privatsenders eingespeist wurde.
    Der Blut-und-Sex-Sender beruhigte so das Gewissen der zuständigen Medienpolitiker und Wächter der Landesrundfunkanstalten, die nicht nur US-Endlos-Serien, Unterbrecher-Werbung, Soft-Pornos und Billig-Western in den deutschen Wohnstuben sehen wollten.
    John Masul arbeitete für das Regionalmagazin. Sein Job war gut bezahlt und interessant. Er produzierte kurze Filmchen für das Magazin. Immer so um die drei bis fünf Minuten lang.
    Der dramaturgische Aufbau war fast immer gleich. Totale,
    41Ranfahrt, Schwenk von rechts nach links oder umgekehrt, Details, Statement oder Interview, Schnittbilder und Ende in der Halbtotalen.
    Rita spielte mir bei unserem zweiten Treffen einige dieser Beiträge vor, die sie auf Videokassette gezogen hatte. An den Inhalten der Streifen merkte ich, daß sich John Masul um die Weitergabe von ernsthaften Informationen bemüht hatte, die er seriös und ohne Schnörkel rüberbrachte. Sicherlich kein brillanter Fernsehmacher, aber auch kein schlechter. Zu Beginn wenigstens nicht.
    »Nach etwa einem Jahr gab es Schwierigkeiten in der Firma«, erzählte Rita, »irgendwer setzte ihm furchtbar zu. Er durfte nur noch kleine Nachrichtenfilme drehen, mußte für 30 Sekunden Film 100 Kilometer weit fahren, manche seiner
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