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Helden

Helden

Titel: Helden
Autoren: Jutta Richter
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FEUER
    Die Sommerferien waren so lang wie die Ewigkeit.
    Die Sonne brannte, wir hatten einen Höllendurst, unsere Nasen pellten sich, unsere Köpfe glühten, und der Schweiß tropfte uns von der Stirn.
    Lukas Trietsch war mit seinen Eltern ins Allgäu gefahren. Er schickte uns eine Postkarte mit Schneebergen drauf, und wir beneideten ihn.
    Felix Vorhelm, Corinna Thiemann und ich saßen auf der Bordsteinkante und zählten die Ameisen, die in einer langen Reihe den Rinnstein entlangmarschierten. Wenn Felix Vorhelm eine Ameise zerquetschte, nahmen die anderen Ameisen den Leichnam mit. Wir fragten uns, ob Ameisen auch schwitzten. Felix Vorhelm meinte, eher nicht, denn die hätten ja Ameisensäure im Blut. Dann zerquetschte er noch eine.
    »Das ist eklig«, sagte Corinna Thiemann.
    »Die spüren das nicht«, sagte Felix.
    »Mir ist langweilig«, sagte ich und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Straße.
    Über dem Asphalt flirrte die Luft und machte die Bäume auf der anderen Straßenseite unscharf.
    Uns allen war langweilig. Der Eismann kam immer um vier, aber bis vier waren es noch drei Stunden oder drei Wochen oder drei Monate. Die Zeit kroch langsamer als eine rote Nacktschnecke, die Mauersegler flogen ganz hoch, nur wenn sie zum Nest flogen, kreischten ihre Jungen, alles andere war still. Irgendwo weit weg heulte ein Martinshorn.
    »Hitzschlag«, sagte Felix Vorhelm.
    Er kramte in seiner Hosentasche und zog eine Schachtel Streichhölzer heraus.
    »Kommt, wir machen was«, sagte er und sprang auf.
    »Was denn?«, fragte Corinna Thiemann.
    »Schröggeln«, sagte Felix.
    »Dürfen wir nicht«, sagten Corinna und ich.
    »Feiglinge«, sagte Felix und spuckte durch seine Zahnlücke. »Typisch Weiber.«
    Corinna Thiemann und ich sahen uns an.
    »Sieht doch keiner«, sagte Felix.
    Wir liefen zum Bahndamm. Das Gras an der Bahndammböschung war gelb und knochentrocken. Die Grillen zirpten. Felix Vorhelm zog das Streichholz über die Zündfläche. Hell flammte der Schwefelkopf auf.
    Felix ließ das Streichholz fallen. Die Flammen züngelten an einem Grasbüschel. Weißer Aschestaub flog hoch. Das Feuer breitete sich aus. Sechs, sieben, acht Grasbüschel brannten. Die Flammen leckten schon an einer Heckenrose. Überall knisterte und knackte es. Die Grillen hatten aufgehört zu zirpen. Eine Amsel flatterte laut schimpfend aus dem Gebüsch.
    »Austreten!«, rief Felix Vorhelm.
    Wir traten mit unseren Sandalen in die brennenden Grasbüschel.
    »Schneller!«, keuchte Felix. Der Qualm brannte in meinen Lungen.
    »Das schaffen wir nicht!«, kreischte Corinna Thiemann. »O Gott, was sollen wir bloß machen!«
    Felix riss einen Ast von der Trauerweide gegenüber. Er schlug in die Flammen, aber das Feuer wirbelte nur auf und breitete sich umso schneller aus. Meine Füße waren schwarz vom Ruß, und meine Sandalen rochen nach geschmolzenem Gummi.
    »Rückzug!«, rief Felix. »Abhauen!«
    Der ganze Bahndamm stand in Flammen.
    Wir versteckten uns in Thiemanns Garage. Ich spuckte auf meine Füße. Überall hatte ich Brandblasen. Corinna Thiemann saß auf dem Boden und weinte.
    »Hör bloß auf zu heulen«, sagte Felix, und seine Stimme zitterte ein bisschen.
    Auch mir war ganz schlecht vor Angst.
    »Wenn das rauskommt, stecken die mich wieder ins Kinderheim«, sagte Felix. Er war ganz blass geworden. »Wehe, ihr verratet was.«
    »Tun wir nicht«, heulte Corinna.
    »Geschworen?«
    »Geschworen«, sagte ich.
    »Richtig schwören«, sagte Felix.
    Corinna und ich hielten die Schwurfinger hoch.
    »Ich schwöre beim Leben meiner Mutter«, sagte Felix.
    »Ich schwöre beim Leben meiner Mutter«, sagten Corinna und ich.
    Draußen heulten die Martinshörner, das Heulen kam immer näher.
    »Feuerwehr«, sagte Felix Vorhelm und spuckte durch seine Zahnlücke.
    Wir hörten, wie das Feuerwehrauto mit quietschenden Reifen zum Stehen kam.
    Zwei Autotüren knallten zu.
    »Absitzen!«, bellte eine heisere Männerstimme.
    Felix Vorhelm lag auf dem Bauch und spähte durch den Spalt zwischen Boden und Garagentor. Ich legte mich neben ihn.
    »Könnt ihr was sehen?«, fragte Corinna.
    »Sie rollen den Schlauch ab«, sagte Felix. Mein Herz klopfte bis in die Zungenspitze. Ich sah die schwarzen Stiefel der Feuerwehrleute und den großen grauen Schlauch, der wie eine tote Riesenschlange auf der Straße lag.
    »Wasser marsch!«, brüllte die Männerstimme. Die Riesenschlange wurde lebendig. Sie blähte sich auf und fing an zu zucken. Und dann hörten wir
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