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Helden

Helden

Titel: Helden
Autoren: Jutta Richter
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ich ja gesagt, er soll sich erst mal fernhalten. Aber zum Kindergeburtstag werden wir ihn wohl einladen. Ich hoffe nur, das geht gut.« Frau Trietsch sprach wieder lauter.
    »Schauen Sie mal, hier habe ich noch ein besonders schönes Stück!« Sie hatte das scharfe Messer in der Hand und schnitt ein großes Stück blutiges Fleisch ab.
    »Ich kann es Ihnen auch schnetzeln.«
    »Das wäre nett«, sagte meine Mutter.
    »Schwierig war er ja schon immer«, sagte Frau Trietsch wieder leiser. »Aber die Mutter hat ihm ja auch nie was entgegengesetzt. Dabei weiß man doch, dass Kinder Grenzen brauchen. Und ob die im Kinderheim so einem Jungen gerecht werden können, das sei mal dahingestellt. Man liest und hört ja so manches. Und dann nachts in diesen schrecklichen Schlafsälen ... Also ich wünsche es keinem Kind, dort zu enden. Kinderheime sind die schrecklichsten Orte der Welt.«
    Frau Trietsch reichte meiner Mutter das Fleischpäckchen.
    »Macht acht fünfundsiebzig, Frau Besler.« Sie lächelte mich an.
    »Na, Liebes, du möchtest doch bestimmt ein Scheibchen Wurst.«
    Sie rollte mit ihren dicken roten Fingern eine Wurstscheibe auf und hielt sie mir hin.
    »Und was sagt man?«, fragte Mama.
    »Danke, Frau Trietsch«, sagte ich, obwohl ich die Wurst gar nicht mochte.
    Eigentlich redeten alle über Felix Vorhelms Kinderheimzeit. Corinna Thiemann meinte sogar, wir müssten ganz besonders nett zu ihm sein, weil er es so schwer gehabt hätte. Lukas Trietsch fand das zwar nicht. »Aber gut«, meinte er schließlich gönnerhaft. »Soll er mein neues Fahrrad ruhig mal ausprobieren.«
    Felix selbst erzählte nie vom Kinderheim, und es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir ihn auch nicht danach fragten.
    Was in den Schlafsälen passiert war, habe ich nicht herausgefunden.
    Aber ich malte es mir aus. Nachts im Bett, wenn alles ganz dunkel war.
    Ich stellte mir vor, ich läge in einem Schlafsaal, in einem Schlafsaal so groß wie die Turnhalle in unserer Schule. Die Betten standen dort dicht nebeneinander, und in jedem Bett lag ein weinendes Kind mit Heimweh. Und das Schluchzen und Stöhnen war so laut, dass man nicht einschlafen konnte. Aber niemand tröstete die Kinder, keine Mama kam und flüsterte: »Alles wird gut, mein Schatz. Nun, wein mal nicht, ich sing dir noch ein Schlaflied.« Im Gegenteil.
    Ich stellte mir vor, dass vor den großen Türen des Schlafsaals ein Wächter stand, mit finsterer Miene und ganz bösen Augen. Und wenn das Weinen zu laut wurde, riss der Wächter die Tür auf und brüllte einfach los.
    »Ruhe dahinten!«, brüllte der Wächter. »Ruhe dahinten, und wehe, einer weint!«
    Immer wenn ich beim Ausmalen an dieser Stelle war, musste ich aufstehen.
    Ich hatte mich durch die dunkle Wohnung zum Elternschlafzimmer getastet, war zu Mama ins Bett gekrochen, und Mama hatte Platz gemacht und im Schlaf ihren Arm um mich gelegt.

3
    Wo kommt das Geld her?«, fragt Mama und hält den Fünfeuroschein in der Hand.
    Wir stehen im Badezimmer vor der Waschmaschine. Mama guckt immer in allen Taschen nach, bevor sie die Hosen in die Maschine steckt.
    »Das ist meins«, sage ich und greife nach dem Schein.
    »Ich will wissen, woher du das hast.«
    »Verdient«, sage ich. »Gib her.«
    Mama hält den Schein in die Luft. Ich hüpfe wie ein Hund, aber so hoch springen kann ich nicht.
    »Wo kommt das Geld her?«
    »Herr Brüning hat es mir gegeben«, keuche ich.
    »Wofür?«
    »Ich habe ihm geholfen.«
    »Wobei?«
    »Nach Hause gebracht.«
    »Du hast WAS ?« Meine Mutter schreit mich an.
    »Ich habe Herrn Brüning nach Hause gebracht. Er war doch betrunken und konnte nicht mehr alleine ...«
    »Das gibst du zurück!«, schreit meine Mutter. »Na warte, dem werde ich was erzählen.«
    »Aber das ist mein Geld«, heule ich. »Herr Brüning hat es mir geschenkt.«
    »Nichts hat er dir zu schenken! Gar nichts!«, schreit meine Mutter. »Geh in dein Zimmer!«

KATZEN
    Felix Vorhelm und ich hatten den Club der Meisterdetektive gegründet, denn wir hatten Zeit. Unendlich viel Zeit.
    Nachmittags saßen wir auf der Bordsteinkante vor unserem Haus und warteten auf das Unheimliche. Die Aufgabe eines Meisterdetektivs war es nämlich, das Unheimliche zu entdecken, es zu enttarnen und zu bekämpfen.
    Das Unheimliche hatte viele Gesichter und viele Namen.
    Es konnte Herr Pohling heißen und hinkte mit rostbraunen Schnürschuhen die Straße entlang. Oder es hieß Fräulein Fontana und stieß hinter dem geschlossenen Fenster hohe spitze
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