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Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes
Autoren: Bethan Roberts
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PEACEHAVEN, OKTOBER 1999
    EIGENTLICH WOLLTE ICH mit diesen Worten beginnen:
Ich will dich nicht mehr zerstören
– denn ich will es wirklich nicht –, kam aber zu dem Schluss, dass du das viel zu melodramatisch finden würdest. Du hast Melodramatik immer gehasst und ich will dich jetzt nicht aufregen, nicht in deinem Zustand, nicht, wenn dein Leben vielleicht zu Ende geht.
    Denn ich will alles aufschreiben, damit ich es richtig verstehe. Dies ist eine Art Geständnis und es ist wichtig, bis in die Einzelheiten genau zu sein. Wenn ich fertig bin, will ich dir diese Aufzeichnungen vorlesen, Patrick, denn du kannst mir nicht mehr widersprechen. Und ich habe Anweisung erhalten, weiter mit dir zu sprechen. Sprechen, sagen die Ärzte, ist unbedingt notwendig, wenn du genesen sollst.
    Du kannst fast nicht mehr sprechen, und obwohl du hier bei mir im Haus bist, verständigen wir uns in Papierform. Wenn ich Papierform sage, meine ich auf Lernkarten zeigen. Du kannst die Wörter nicht aussprechen, aber du kannst zeigen, was du willst:
Trinken, Toilette, Sandwich.
Ich weiß immer schon, was du willst, bevor dein Finger das Bild erreicht, aber ich lasse dich trotzdem darauf zeigen, denn es ist besser für dich, unabhängig zu sein.
    Es ist merkwürdig, nicht wahr, dass ich jetzt diejenige bin, die Füller und Papier benutzt und dies schreibt – wie sollen wir es nennen? Es ist wohl kaum ein Tagebuch, nicht so eines, wie du es einmal geführt hast. Was immer es ist, ich bin diejenige, die schreibt, während du im Bett liegst und jede meiner Bewegungen beobachtest.
    Du hast diesen Küstenabschnitt nie gemocht, du hast ihn einen Küstenvorort genannt, den Ort, an den alte Leute ziehen, um dem Sonnenuntergang zuzuschauen und auf den Tod zu warten. Wurde diese Gegend – ungeschützt, einsam, windumtost wie all die schönsten britischen Küstenorte – in jenem schrecklichen Winter 1963 nicht Sibirien genannt? Jetzt ist es hier nicht mehr ganz so öde, aber immer noch genauso eintönig wie damals. Hier in Peacehaven sehen die Straßen alle gleich aus: bescheidene Bungalows, zweckmäßige Gärten, schräger Meerblick.
    Ich habe mich heftig gegen Toms Pläne hierherzuziehen gewehrt. Warum sollte ich, die ihr ganzes Leben in Brighton gelebt hat, parterre wohnen, und wenn der Immobilienmakler unseren Bungalow als Schweizer Chalet bezeichnete? Warum sollte ich mich mit den schmalen Gängen des hiesigen Co-op begnügen, dem Gestank von altem Fett bei Joe’s Pizza und Kebab House, den vier Beerdigungsinstituten, einem Zoogeschäft namens Wunderwelt der Tiere und einer Reinigung, deren Angestellte angeblich »für London qualifiziert« sind? Warum sollte ich mich damit begnügen nach Brighton, wo die Cafés immer voll sind, es in den Läden mehr zu kaufen gibt, als man sich vorstellen, geschweige denn brauchen kann, und wo der Pier immer leuchtet, immer geöffnet ist und oft ein bisschen bedrohlich?
    Nein. Ich fand es eine schreckliche Vorstellung, dir wäre es genauso gegangen. Aber Tom war entschlossen, sich an einem ruhigeren, kleineren und angeblich sichereren Ort zur Ruhe zu setzen. Zum Teil, glaube ich, weil er genug davon hatte, an sein altes Revier, seine alte Tätigkeit erinnert zu werden. Und wenn ein Bungalow in Peacehaven an eines nicht erinnert, dann an die Geschäftigkeit der Welt. Jetzt sind wir also hier, wo niemand vor halb zehn Uhr morgens oder nach halb zehn abends auf der Straße ist außer ein paar Teenagern, die vor der Pizzeria rauchen. In einem Bungalow mit zwei Schlafzimmern (er ist kein Schweizer Chalet, das ister
nicht
), mit Bushaltestelle und Co-op in der Nähe, einem Blick auf ein langes Rasenstück, einer Wäschespinne und drei Außengebäuden (Schuppen, Garage, Gewächshaus). Was das Ganze rettet, ist der Meerblick, der tatsächlich schräg ist – man sieht es vom seitlichen Schlafzimmerfenster. Ich habe dir das Zimmer gegeben und dein Bett so hingestellt, dass du aufs Meer blicken kannst, so viel du willst. Ich habe es dir gegeben, Patrick, obwohl Tom und ich niemals zuvor eine schöne Aussicht hatten. Von deiner Wohnung in Chichester Terrace, ganz im Regency-Stil, konntest du das Meer jeden Tag genießen. Ich erinnere mich sehr gut an die Aussicht, obwohl ich dich selten besucht habe: die Volk’s Railway, die Duke’s Mound Grünanlagen, die Mole, an windigen Tagen von weißen Wellenkämmen umgeben, und natürlich das Meer, immer anders, immer dasselbe. Alles, was Tom und ich sahen, wenn wir aus
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