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Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes
Autoren: Bethan Roberts
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holte gespielt zum Schlag gegen seine Schwester aus, aber sie duckte sich, um seiner Hand auszuweichen. Das Handtuch fiel auf den Boden und ich musste wieder meine Augen abwenden.
    Ich fragte mich, was so schlimm daran war, ins Spotted Dog zu gehen, aber ich wollte nicht unwissend erscheinen und hielt den Mund.
    Sylvie ließ einen Moment des Schweigens vergehen, bevor sie murmelte: »Ihr geht da hin. Ich weiß es.« Dann ergriff sie den Handtuchzipfel, sprang auf und drehte es zu einem Strick. Tom stürzte auf sie zu, aber sie war zu schnell. Das Handtuch traf ihn mit einem Knall quer über der Brust und hinterließ eine rote Linie. Damals bildete ich mir ein, dass die Linie pulsierte, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Aber du kannst es dir vorstellen: unser hübscher Junge geschlagen von seiner kleinen Schwester, gezeichnet von ihrem weichen Baumwollhandtuch.
    Ein Anflug von Wut huschte über sein Gesicht und in mir zog sich alles zusammen. Es wurde jetzt kühler, ein Schatten kroch über die Sonnenanbeter. Tom blickte auf den Boden und schluckte. Sylvie schwankte, war sich nicht sicher, wie ihr Bruder reagieren würde. Unerwartet griff er zu und hatte das Handtuch wieder; sie duckte sich und lachte, als er wie verrückt mit dem Ding herumwedelte. Hin und wieder traf er sie damit – worauf sie einen schrillen Schrei ausstieß – ,aber meistens verfehlte er sie. Er war jetzt sanft, weißt du, ich wusste es damals schon; er tapste umherund benahm sich absichtlich tollpatschig, zog seine Schwester damit auf, dass er eigentlich stärker und treffsicherer war, dass er sie hart treffen könnte.
    »Ich hab einen Schilling«, sagte ich und tastete in meiner Strickjackentasche nach Kleingeld. Es war alles, was ich noch hatte, aber ich hielt es ihm hin.
    Tom hörte auf, mit dem Handtuch herumzuwedeln. Er atmete schwer. Sylvie rieb sich den Hals, wo das Handtuch sie erwischt hatte. »Rüpel«, murmelte sie.
    Er streckte die Hand aus und ich legte die Münze hinein, streifte dabei mit meinen Fingerspitzen seine warme Haut.
    »Danke«, sagte er und lächelte. Dann sah er Sylvie an. »Alles in Ordnung?«
    Sylvie zuckte mit den Schultern.
    Als er sich umdrehte, streckte sie die Zunge heraus.
    Auf dem Nachhauseweg roch ich an meiner Hand, atmete den metallischen Duft ein. Der Geruch meiner Münze würde jetzt auch an Toms Fingern sein.
    Kurz bevor Tom fortging, um seinen Wehrdienst zu leisten, gab er mir einen Funken Hoffnung, an den ich mich die nächsten zwei Jahre klammerte, und wenn ich ehrlich sein soll, noch länger.
    Es war Dezember und ich war zum Tee zu Sylvie gegangen. Du verstehst, dass Sylvie selten zu mir kam, denn sie hatte ein eigenes Zimmer, einen tragbaren Plattenspieler und immer einige Flaschen Vimto-Limonade, während ich mir ein Zimmer mit Harry teilte und das Einzige, was es zu trinken gab, Tee war. Aber bei Sylvie zu Hause ging es zu, als gäbe es keine Lebensmittelrationierung mehr: Wir aßen Schinkenscheiben, die vom Schwarzmarkt stammen mussten, weiches weißes Brot, Tomaten und Salatsoße, danach Mandarinen aus der Dose und Kondensmilch (selbst Sylvies Mutter konnte keine richtige Schlagsahne auftreiben). Sylvies Vaterhatte vorne einen Laden, in dem es aufreizende Postkarten, Schnullerlollis, abgelaufene Fruchtgummis und Figuren aus Muscheln, mit Kragen aus getrocknetem Seegras, zu kaufen gab. Er hieß »Happy News«, weil es dort auch Zeitungen, Zeitschriften und einige Ausgaben der gewagteren Titel, die in Cellophantüten steckten, zu kaufen gab. Sylvie erzählte mir, dass ihr Vater jede Woche fünf Exemplare des »Kama Sutra« verkaufte und dass sich die Zahl über den Sommer verdreifachen würde. Zu der Zeit hatte ich nur eine dunkle Ahnung, dass das Kama Sutra aus Gründen, die ich nicht kannte, ein verbotenes Buch war; aber ich tat so, als wäre ich beeindruckt, machte große Augen und flüsterte »Wirklich?«, und Sylvie nickte triumphierend.
    Wir aßen im Wohnzimmer. Der Wellensittich von Sylvies Mutter zwitscherte die ganze Zeit im Hintergrund. Sie hatten Plastikstühle mit Metallbeinen und einen abwischbaren Esstisch ohne Tischtuch. Sylvies Mutter trug orangefarbenen Lippenstift und von dort, wo ich saß, konnte ich das nach Lavendel duftende Reinigungsmittel an ihren Händen riechen. Sie war extrem übergewichtig, was merkwürdig war, denn ich sah sie immer nur Salatblätter und Gurkenscheiben essen und immer nur schwarzen Kaffee trinken. Trotz dieser offenbaren Kasteiung schienen
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