Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Helden

Helden

Titel: Helden
Autoren: Jutta Richter
Vom Netzwerk:
Schreie aus.
    Manchmal nannte sich das Unheimliche auch Herr Brüning, dann torkelte es Lieder lallend aus der Eckkneipe, es stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und schenkte uns fünf Euro, wenn wir es stützten und bis zur Haustür brachten.
    Das Unheimliche hasste Katzen. Egal welche Gestalt es gerade angenommen hatte, wenn das Unheimliche eine Katze sah, warf es mit Stöcken oder sprang zischend aus dem Hauseingang.
    Die alten Katzen in unserer Straße wussten das. Sie waren klug und leise und konnten sich unsichtbar machen. Aber die jungen Katzen konnten das nicht. Sie hatten einfach noch kein Geschick. Sie tollpatschten durch die Vorgärten, spielten mit raschelnden Blättern, kugelten sich kämpfend über den Bürgersteig. Die jungen Katzen waren für Felix Vorhelm und mich das Beste im Leben.
    Als Meisterdetektive kannten wir natürlich alle Geheimverstecke und Schlafplätze der Katzen. Wir lockten sie mit Zieplauten, wir pfiffen leise durch unsere Zahnlücken. Dann purzelten die jungen Katzen unter den Treppenstufen hervor auf die Straße und strichen uns maunzend um die Beine, während die Katzenmütter hinter dem Hortensienbusch uns aufmerksam beobachteten.
    Am 3. Juli schellte Felix Vorhelm Sturm. Wir saßen beim Mittagessen.
    »Meine Güte«, schimpfte meine Mutter. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«
    Ich rannte zur Korridortür und öffnete sie.
    »Du musst mitkommen«, keuchte Felix Vorhelm. »Sofort!«
    Er zog mich am Ärmel aus der Wohnung, zog mich die Treppenstufen hinunter. Ich hörte meine Mutter nach mir rufen und dann laut schimpfend die Korridortür zuknallen. Das würde Ärger geben.
    »Egal«, sagte Felix. »Wir müssen die Katzen retten.«
    Draußen flirrte das Sonnenlicht. Ich kniff die Augen zusammen. Felix zog mich hinter den Fliederbusch im Vorgarten. Von dort hatte man einen guten Überblick über die Straße.
    Wir sahen Herrn Pohling, der den Bürgersteig entlanghinkte. Er hatte seinen Stock dabei und schlug damit auf jeden Busch. Fräulein Fontana folgte ihm mit fünf Schritten Abstand. Sie rief »Miez, miez, miez«, hatte ihren Stockschirm dabei und stocherte unter den Treppenstufen. Drei Schritte hinter ihr torkelte Herr Brüning, mit einem Eichenknüppel bewaffnet. »Wenn ich euch Saubande kriege«, lallte er, »wenn ich euch Saubande kriege, werdet ihr ersäuft. Alle miteinander ersäuft.«
    Sein Lachen klang wie das Meckern eines Ziegenbocks.
    »Was haben die vor?«, fragte ich.
    »Siehst du doch«, antwortete Felix. »Die wollen die Katzen plattmachen. Eine Säuberungsaktion, haben sie gesagt. Das wäre eine Säuberungsaktion. Wir hätten eine Katzenplage in der Straße, und jetzt soll Schluss sein damit.«
    »Aber das dürfen die doch gar nicht.«
    »Das ist denen doch egal.«
    »Und jetzt?«
    »Wir müssen schneller sein«, sagte Felix.
    Herr Pohling war nur drei Häuser von unserem entfernt und kam langsam näher.
    Felix und ich duckten uns hinter den Vorgartenzaun und schlichen zum Katzenlager unter den Treppenstufen des Nachbarhauses.
    Die Katzenmutter schnurrte leise, als wir uns näherten. Sie lag auf der Seite unter der Treppe und säugte die Kleinen.
    »Pscht«, sagte ich. »Alles wird gut.«
    Ich streichelte ihren Kopf, während Felix Vorhelm die jungen Katzen von den Zitzen löste. Er steckte eine nach der anderen unter sein Hemd.
    »Beeil dich«, flüsterte ich. »Sie sind fast hier.«
    Als Felix die letzte Katze verstaut hatte, robbte er rückwärts unter den Treppenstufen heraus.
    »Du bleibst hier«, zischte er mir zu. »Du musst sie ablenken.«
    Dann verschwand er hinter der Hausecke.
    Kaum war er verschwunden, wurde ich von hinten am T-Shirt gepackt.
    »Na, wen haben wir denn hier?«, schnarrte Herr Pohling. Er zog mich unter den Stufen vor, schob mich zur Seite und beugte sich unter die Treppe.
    »Treffer«, rief er. »Wir haben das Muttertier.«
    Die alte Katze fauchte und sprang auf. Sie sträubte ihr Fell und sah plötzlich doppelt so groß aus. Herr Pohling stieß seinen Stock nach ihr. Die Katze wich zurück.
    »Hau ab!«, rief ich. »Minka, hau ab!«
    Die alte Katze zögerte, dann drehte sie sich um und sprang mit einem Satz unter den Treppenstufen vor. Fast hätte sie Herrn Pohling zu Fall gebracht, als sie zwischen seinen Beinen durchflitzte. Blitzschnell rannte sie zum Birnbaum, und noch bevor er seinen Kopf wenden konnte, war sie im Blätterdach verschwunden. Ich atmete auf und presste meinen Rücken gegen die Hauswand.
    Fräulein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher