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Helden

Helden

Titel: Helden
Autoren: Jutta Richter
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schon haben.«
    Er fing an vorzulesen.
    »Fontana, Ulrike, Flussweg 14, Beruf: Katzenhasserin und Hausbesitzerin. Haarfarbe: schwarz, Augenfarbe: braun, besondere Kennzeichen: keine, Figur: birnenförmig, Brüste: groß, Brustwarzen: fast schwarz und riesig, Vorlieben: nackt am Fenster stehen ...«
    »Hör auf damit!«, schrie Corinna. Sie schnappte sich das Notizbuch.
    »Gib her!« Felix packte sie und versuchte, ihr den Arm umzudrehen. Corinna riss sich los. Sie holte aus und warf das Notizbuch im hohen Bogen durch das geöffnete Katzenfenster. Felix machte das Garagentor auf und wollte hinter die Garage laufen. Corinna und ich rannten ihm nach. Und dann blieben wir wie angewurzelt stehen, denn vor uns stand, wie aus dem Boden gewachsen, Lukas Trietsch.
    Er hatte das schwarze Notizbuch in der Hand und ein breites scheinheiliges Grinsen im Gesicht.
    »Sucht ihr etwa das hier?«, fragte er und hielt das Notizbuch hoch über seinen Kopf. »Na, dann holt es euch doch.«
    Felix ballte die Fäuste, er senkte den Kopf und wollte sich auf Lukas stürzen.
    Lukas machte eine blitzschnelle Drehung zur Seite und ließ Felix ins Leere stolpern.
    »Komm, Lukas«, sagte ich. »Mach keinen Quatsch. Gib das Notizbuch her.«
    »Nie im Leben«, sagte Lukas. Er grinste immer noch.
    Felix hatte sich aufgerappelt. Er sprang Lukas auf den Rücken und versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Aber Lukas stand wie ein Fels in der Brandung. Er schüttelte Felix einfach ab.
    »Gib sofort das Buch her, du Fettklops!«, brüllte Felix.
    »Sag das noch mal!«
    »Fettklops!«
    Lukas grinste nicht mehr.
    »Fettklops! Fettklops!«, brüllte Felix. Lukas drehte sich langsam um.
    Einmal hatte ich einen Tierfilm über Nashörner gesehen. Während des Filmens war ein Nashorn sauer geworden und hatte den Kameramann angegriffen. Das wütende Nashorn im Film hatte sich genauso langsam umgedreht wie Lukas Trietsch.
    Jetzt also wird es ernst, dachte ich und drückte Corinnas Hand. Irgendwas mussten wir tun. Ich nickte Corinna zu, und wir beide stürzten uns kreischend auf Lukas. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich sah die Überraschung in seinen Augen. Corinna packte seinen linken Arm, während ich versuchte, ihm das Notizbuch zu entreißen. Und tatsächlich, er ließ es los. Ich rannte, als ob zehn wütende Nashörner hinter mir her wären. Ich rannte um mein Leben und wäre an der Ecke fast mit Frau Thiemann zusammengestoßen.
    »Na, da hat es aber jemand eilig. Nun warte doch mal. Wo ist denn die Corinna?«, rief sie hinter mir her, aber da war ich schon im Hausflur, nahm zwei Stufen auf einmal und schellte Sturm.
    »Meine Güte, was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragte Mama ärgerlich.
    »Ich muss aufs Klo«, keuchte ich. »Nötig!«
    Kopfschüttelnd gab Mama den Weg frei.
    »Und da wartest du natürlich bis zum letzten Moment«, schimpfte sie.
    Mein bestes Geheimversteck war unter der Badewanne. Dort gab es ein Fliesenviereck, das mit silbernen Klemmen befestigt war. Wenn ich die Klemmen aufbog, konnte ich eine Kachel herausnehmen. Schon immer hatte ich meine wichtigsten Schätze dort versteckt. Die Kiste mit den Glasmurmeln, meine Knippsteinsammlung und den Goldring, den ich im Frühling auf der Straße gefunden hatte und eigentlich zum Fundbüro bringen sollte. Nachdem ich die Badezimmertür abgeschlossen hatte, nahm ich die Fliesenkachel heraus und schob das Notizbuch in den Hohlraum unter der Wanne. Dann drückte ich die Klospülung und drehte den Wasserhahn auf.

6
    Ich muss hier raus. Ich halte diese Stille nicht mehr aus. Ich drücke ganz leise die Türklinke runter.
    »Du bleibst hier, mein Fräulein!«
    Mama steht im Flur und versperrt mir den Weg.
    »Aber die warten auf mich.«
    »Dann müssen sie eben noch länger warten. Du bleibst hier und räumst jetzt dein Zimmer auf.«
    »Aber das kann ich doch später machen.«
    »Auf gar keinen Fall. Das wird jetzt sofort gemacht!«
    Ich habe keine Chance.
    »Und mach es ja ordentlich! Ich komme kontrollieren!«
    Wütend knalle ich die Zimmertür hinter mir zu.
    »Wo der Staubsauger steht, weißt du ja noch!«, ruft meine Mutter.
    Ich hasse sie.
    Immer noch hängt das »Wir sprechen uns später« in der Luft. Nur dass ich nie weiß, wann später ist.
    Wahrscheinlich muss sie erst mit Papa sprechen.
    »Du solltest jetzt mal kleine Brötchen backen.« Auch das ist so ein Lieblingssatz meines Vaters. Aber ich will keine kleinen Brötchen backen! Ich will riesige Brote!
    Ich stelle die Bücher ins Regal.
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