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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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Prolog
    „Ich warte auf dich, bis du wieder zu mir zurückkommst!“ waren die letzten Worte, die Annika ihrem Freund Marco mit auf dem Weg gegeben hatte, ehe dieser für ein Jahr aus ihrem Leben verschwand.
Vollständig verschwand er nicht, vielmehr ging er für ein Jahr auf einen Kontinent, auf dem es nur sehr schwer möglich war, regelmäßig miteinander zu kommunizieren: ins tiefe Herz von Afrika.
    Marco hatte nach dem Abschluss seiner sechs Jahre dauernden Assistenzarztzeit für sich selbst beschlossen, dass er eine Auszeit benötigte. Im Grunde konnte Annika diesen Wunsch nachvollziehen, da sie selbst schon seit einigen Jahren den immerwährend gleichbleibenden Beruf als kaufmännische Fachangestellte ausübte, doch als Marco ihr verriet, dass er für ein Jahr zu den Ärzten ohne Grenzen gehen wollte – und dann auch noch nach Afrika –, ahnte sie plötzlich, dass es nicht nur sein Beruf war, der sich eingeschliffen hatte.
Sie kannten sich bereits seit acht Jahren. Als er noch Student an der hiesigen Universität gewesen war, hatte sie ihn auf einer Studentenfeier kennen gelernt, auf der Annika nur deswegen war, weil sie eine Freundin mitgenommen hatte. In den folgenden Jahren scherzte Annika gerne, dass sie in ihrem Leben nur auf einer Studentenparty gewesen sei – was eine charmante, kleine Lüge war –, aber dafür auf genau der richtigen. Sie wusste für sich, dass Marco ihr Traumprinz war, und sie konnte sich kein Leben ohne ihn vorstellen.
    Gemeinsam hatten die beiden ihr Leben aufgebaut. Aus dem Studium heraus hatte sie ihn mit ihrem regelmäßigen Einkommen unterstützt, und als er begann, etwas mehr zu verdienen, konnten sie sich ein gutes Leben zu zweit gönnen. Trotz der vielen Arbeit, die er als Assistenzarzt leisten musste, verbrachten sie genügend Zeit miteinander und suchten aktiv nach Lücken im Arbeitsleben, um gemeinsam Ausflüge oder einfach nur einen Spaziergang in der Nachbarschaft zu machen. Alles schien perfekt – bis zu diesem einen Moment, in dem ihr Marco sagte, dass er ausbrechen möchte.
Ausbrechen! Woraus wollte er ausbrechen? Diese Frage stellte sich Annika die ganze Zeit des Gespräches über. Ausbrechen von seinem Job? Ausbrechen von seiner Beziehung? Ausbrechen von mir und meiner Liebe? Später, als er bereits für das Jahr seine Sachen zusammenpackte, ärgerte sie sich, dass sie nicht gleich im richtigen Moment nachgefragt hatte, ob er nicht vor allem vor ihr flüchtete. War es denn überhaupt eine Flucht?
Annika erschien es beinahe wie eine. Eine Flucht vor der Beziehung, bevor es richtig ernst wurde. Natürlich hatte Annika leichte Andeutungen gemacht, wie es wäre, wenn sie beide verheiratet wären, ein kleines Häuschen besäßen, in deren Garten zwei oder drei Kinder spielen – und vielleicht sogar ein kleiner Hund. War das alles zu viel für Marco gewesen? Hatte er so viel gearbeitet, dass er das Gefühl hatte, dass er irgendetwas in seinem Leben verpasst hatte, etwas, das er nur jetzt nachholen konnte. Jetzt, an diesem Punkt seines Lebens?
Sollte es so sein, dass er etwas vermisste – warum aber dann ausgerechnet die Ärzte ohne Grenzen? Warum Afrika? Und warum das tiefste Afrika, so weit von allen größeren Städten weg, dass mit einer ständigen Strom- und Wasserversorgung nicht zu rechnen war?
Annika kam das alles Spanisch vor. Sie wusste, dass Marco kein allzu großer Abenteurer war. Vielmehr suchte er Ablenkung in Dingen, die seinen Geist beanspruchten. Trotz der anstrengenden Arbeit las er in seiner Freizeit Fachtexte von anderen Medizinern, suchte sich besonders gewichtige Klassiker der Weltliteratur, um sich hindurchzukämpfen, hörte experimentellen Jazz und ging gerne zu klassischen Konzerten, zu denen ihn Annika ab und an begleitet hatte. Auch wenn sie das eher als unverständlichen Lärm empfand. Es war einfach nichts für sie.
Gerade an diesem Punkt stieß Annika auch immer wieder an ihre Grenzen, wenn sie darüber nachdachte, warum Marco vor seiner gewohnten Welt flüchtete. Glaubte er vielleicht, dass sie die Falsche für ihn war und traute er sich nicht, ihr den Laufpass zu geben, wie es normalerweise in so genannten Momenten der Klarheit geschah? Hoffte er auf eine Entfremdung und dass sie eine Affäre in der Zwischenzeit beginnen würde, nur damit er sich nicht von ihr trennen musste?
Je länger sie sich Gedanken über das bevorstehende Trennungsjahr machte, desto verworrener wurden ihre Schlüsse, und als sie drohte, völlig neben der
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