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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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müssen, um nicht wieder in sein wahnwitziges Gelächter zu verfallen.
    »Was soll das jetzt, Bernhard. Ich versuche, konstruktive Vorschläge zu machen.«
    »Du begreifst es nicht. Ich komme nicht mehr ran an das Geld, verstehst du? Nie mehr! Es ist auf einem Konto, zu dem ich keinen Zugang habe!«
    Er wandte sich kopfschüttelnd ab und setzte sich in Richtung der Landstraße in Bewegung; kleine Staubwölkchen stoben unter seinen Füßen auf.
    »Bleib sofort stehen! Was soll das heißen?« Bis hinein in ihren Kopf, so schien es, flog der Staub, vernebelte ihr Denken. Sie sah über die flirrende Dornenlandschaft hin. Endlos ging ihr Blick, kein Gebäude gebot ihm Einhalt, es gab buchstäblich nichts als staubige Steppe.
    »Monaco!«, rief Bernhard halb über die Schulter, und seine Worte wurden vom Wind in die Leere der Landschaft hinausgetragen.
    Sie mochten an die zwei Stunden gegangen sein, Bernhard stets einige Schritte vor ihr. Es war Mittag geworden, Mittag und heiß; kein Puder der Welt vermochten ihre Foundation und den Concealer an ihrem Platz zu halten. Sie spürte, wie er unter ihren Augen verlief und sie instinktiv versuchte, durch Bewegungen ihrer Gesichtsmuskeln der Auflösung entgegenzusteuern.
    Um den kleinen Kieseln unter ihren Schuhen – sie hatte ausschließlich Schuhe mit Absätzen mitgenommen – zu entgehen, lief sie ganz am Rand des Weges, wo die Erde trocken und einigermaßen fest war; dennoch knickte sie ständig um. Die borstigen Sträucher, die dort wuchsen, hatten das Krokoimitat des Rollkoffers, der schwerfällig hinter ihr herhoppelte, völlig verschandelt; auch ihre Strumpfhose war von zahlreichen Schnitten und Rissen um die Waden herum zerfetzt. An einigen Stellen färbte sich der Stoff rot. Das Brennen der tiefen Kratzer empfand Carmen als etwas Wohlbekanntes, fast Tröstliches … Es versicherte sie ihrer fortdauernden Existenz. Sie war nicht gestorben. Da war eine leise wachsende Wut, konstant wie der Wind, an- und abschwellend; das schrill quälende Gefühl, dass kein Schmerz je die Lücke würde ausfüllen können, die sie in sich spürte. Es erinnerte sie an den Tag, als – viel zu früh – ihr Vater gestorben war. Diese Enttäuschung. Diese grenzenlose Enttäuschung über seine Gemeinheit, sie verlassen zu haben.
    Ungemessene Zeit später tauchte etwas am Horizont auf, das nicht Strauch oder Grasbüschel war. Der Durst hatte ihre Zunge mit dem Gaumen verklebt; so blieb sie stumm. Östlich von ihnen flimmerte die Luft, daher war sie einigermaßen sicher, dass sich irgendwo dort hinten die Küste befand. Das Flimmern wurde unterlegt von einem kaum wahrnehmbaren Rauschen … doch da sie nicht wusste, ob sie ihren Ohren nach der stundenlangen Stille trauen konnte, vergaß sie es wieder.
    Bald kamen sie an einer weiteren Finca vorüber, ebenfalls verfallen; einige der grasbedeckten Flächen links und rechts von ihnen waren nun mit Stacheldraht eingezäunt, als dienten sie als Weideplätze. Und tatsächlich, kurz bevor sie das Gebäude am Horizont entdeckte, war eine kleine Weide mit drei grasenden Schafen aufgetaucht.
    Das Rauschen war unterdessen unverkennbar zu einem Branden geworden und das Gebäude bald so nahe, dass sie es nicht nur als Hotel erkennen konnte, sondern als ein Hotel, das eben erst erbaut wurde. Bernhard ging nun schneller, ganz so, als habe er es sich bereits stillschweigend zu seinem Ziel erwählt; als habe er die ganze Zeit über gewusst, wohin er ging, und es lediglich vor ihr sorgsam geheim gehalten. Für einen Moment schämte sie sich: ihres Hasses, ihrer Liebe, all ihrer Gefühle.
    Die Baustelle lag in einer Bucht, sodass sie erkennen konnte, wie sich jedes einzelne Stockwerk terrassenartig an den Hang schmiegte. Ganz oben war ein Transparent mit einer Aufschrift angebracht, die sie nicht lesen konnte. Irgendwo da unten würden Menschen sein, dachte sie; vielleicht war dort eine kleine Ortschaft, ganz sicher aber zumindest Wasser. Es würde eine Lösung geben.
    Bald, als das Hotel so nah war, dass sie die Aufschrift lesen konnte – Hotel Legal –, erschien ein Auto auf dem Weg weit vor ihnen. Es verlangsamte seine Geschwindigkeit; als es bis auf dreißig Meter herangekommen war, hielt es an. Auch Bernhard blieb stehen.
    Es war ein Wagen der Guardia Civil.
    Zwei Polizisten saßen darin. Sie stiegen langsam aus und legten, in beinahe perfekter Harmonie, ihre Hände an ihre Waffenholster. Der auf der Beifahrerseite sagte: »¡Quiero ver sus
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