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Jenseits des Meeres

Titel: Jenseits des Meeres
Autoren: Ruth Langan
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PROLOG
    England
    Fleet-Gefängnis, 1566
    Bei dem hohlen Widerhall schwerer Schritte horchten die Gefangenen in den Kerkerzellen ängstlich auf. Das Auspeitschen fand hauptsächlich nachts statt, weil es dann weniger Zeugen gab.
    Als der offenbar Gestiefelte vor ihrer Tür anhielt, warfen sich die beiden Brüder einen raschen Blick zu und bereiteten sich darauf vor, dem Zorn des Wärters zu begegnen. Während zwei Leute vor der Zelle Wache hielten, schloss der Mann mit der Peitsche die Tür auf, nahm die Fackel von einem seiner Begleiter und trat ein. Sobald das Licht in den feuchten Raum fiel, huschten Ratten umher.
    Der Aufseher stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete breitbeinig seine neuesten Opfer. Im flackernden Feuerschein wirkte sein Gesicht wie eine Fratze.
    „Wer will der Erste sein?“ Er wandte sich kurz um und steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand.
    Der größere der beiden Häftlinge stellte sich vor seinen jüngeren Bruder.
    „Nicht doch, Kieran“, wehrte dieser ab. „Der peitscht dich doch wieder so aus, dass du vor Schmerzen ohnmächtig wirst.“
    „Dann soll er es tun.“ Kieran O’Mara berührte seine offene Fleischwunde und hoffte, der Peiniger würde den Großteil seiner Energie an ihn, Kieran, verschwenden, ehe er sich mit dem Jungen befasste.
    „Zur Seite!“ herrschte der Wärter ihn an. „Euer Spiel kenne ich inzwischen. Du steckst seit vier Nächten seine Schläge ein. Diesmal fange ich bei dem Schwächling an.“
    Und schon hob der Aufseher die Hand, doch ein eisenharter Griff hielt sie auf. Die Kraft des Gefangenen verblüffte und verärgerte den Mann. „Du wagst es, dich mir zu widersetzen? Fasst ihn!“
    brüllte er.
    Einer der Wachtposten steckte seine Fackel noch rasch in eine Halterung draußen, ehe er dem anderen in die Zelle folgte. Sie rangen den Gefangenen zu Boden und hielten ihn dort fest. „Jetzt werde ich euch die Wahrheit sagen“, meinte der Wärter hämisch, „denn ihr lebt ja nicht mehr so lange, um etwas auszuplaudern. Wir haben nämlich den Auftrag, dafür zu sorgen, dass ihr hier nicht mehr lebend hinauskommt.“
    Ein Peitschenhieb nach dem anderen traf den jüngeren Gefangenen. Der Wärter lachte höhnisch. „Und das Beste an der Geschichte ist, dass euch jemand verraten hat, der sich euer Freund nennt.“ Der Aufseher leckte sich die Lippen. „Um eure liebreizende Mutter braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Für sie wird gesorgt sein, solange sie meinem Herrn Freude bereitet. Wenn ihr wisst, was ich meine. “ Erneut ließ er die Peitsche auf den jüngeren Bruder niedersausen, der daraufhin stöhnend zu Boden ging.
    Kieran wurde von einer derartigen Wut gepackt, dass die beiden Wächter ihn nicht mehr zu bändigen vermochten. Mit einem zornigen Aufschrei befreite er sich aus dem Griff der Männer, schlug die beiden nieder und legte seinen Arm um den Hals des Wärters. „Und jetzt sagst du mir, wer uns verraten hat!“
    Der Angesprochene stieß einen üblen Fluch aus, ehe er die Lippen zusammenpresste.
    „Seinen Namen will ich hören, oder ich bringe dich um! “
    Er weigerte sich zu sprechen.
    Jetzt verlor Kieran die Beherrschung. „Dann magst du eben dein verdammtes Geheimnis mit ins Grab nehmen.“ Er hörte das Knacken der Halswirbel des Wärters, und während der Mann zu Boden sank, kniete sich Kieran neben seinen verletzten Bruder nieder.
    „Halte durch, Colin. Wir werden diesen Kerker verlassen. Dann kehren wir heim.“ Sanft, wie man es einem derart kräftigen Mann nie zugetraut hätte, hob er den geschundenen Körper seines Bruders über die Schulter und trug ihn durch die Gänge hinaus aus dem Gefängnis, in dem sie während des letzten Jahres festgehalten worden waren.
    Mit seiner Bürde schleppte sich Kieran mühevoll durch Gassen und schmutzige Durchgänge, bis die Stadt hinter ihnen lag. Ohne anzuhalten, lief er die ganze Nacht weiter, und als der Morgen dämmerte, stieg er auf einen Heuboden und drückte seinen Bruder an sich, um ihn warm zu halten.
    „Du hast mein Wort, Colin. In diesem gottlosen Land wird man dich nicht begraben.“ Nachdem dieser daraufhin nickte, atmete Kieran erleichtert auf. Sein Bruder war wenigstens noch bei Bewusstsein.
    Gegen Abend waren Colins Lippen schon blau angelaufen, und Kieran wusste, dass nicht mehr viel Zeit blieb, doch ein Versprechen hatte er noch niemals gebrochen. Die vor ihnen liegende Reise hätte die meisten Männer mutlos gemacht, ihn allerdings schreckte sie nicht.
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