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Jenseits des Meeres

Titel: Jenseits des Meeres
Autoren: Ruth Langan
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Sobald die Sonne hinter den Hügeln verschwunden war, hob er seinen Bruder wieder auf die Arme und nahm die Wanderung aufs Neue auf.
    Er kam durch Dörfer und kleine Ansiedlungen, watete durch Bäche, durchquerte Kornfelder und stahl sich das Essen zusammen, damit sie beide bei Kräften blieben. Und unterdessen arbeitete sein Gehirn angestrengt. Noch immer wusste er nicht, wem er die Einkerkerung im Fleet-Gefängnis zu verdanken hatte, doch er schwor sich, den Namen seines Widersachers herauszubekommen. Und dann würde er sich rächen.
    Sechs Tage später lag England hinter ihnen. Als sie das Ufer des Tweed in Schottland erreichten, hüllte Kieran seinen fiebernden Bruder in einen gestohlenen Umhang und schaute zu den Bergen hinüber, die sich aus dem Nebel erhoben.
    „Das ist zwar noch nicht Irland, doch England ist es auch nicht mehr. Nur keine Angst, Colin. Ich werde dich jetzt nur so lange allein lassen, bis ich uns Nahrung und Waffen beschafft habe.“ Und kräftige Pferde, dachte er, denn die Heimreise war noch lange nicht vorüber. Sie hatte gerade erst begonnen.

1. KAPITEL
    „Ihr macht mich sehr stolz, Mädchen.“ Duncan MacAlpin richtete sich so gerade auf, wie es seine sechsundsiebzig Lebensjahre zuließen.
    Neben ihm auf dem Söller stand Megan MacAlpin, die Herrin des Clans, und zerdrückte die plötzlich aufsteigenden Tränen, während sie gerührt auf die vielen Menschen hinunterblickte. Der Innenhof der Burg war voller Leute, die dem alten Mann ihre Ehre erweisen wollten.
    Meredith, Megans älteste Schwester, war mit ihrem Gatten Brice Campbell und ihren beiden kleinen Kindern gekommen, ebenso eine Abordnung der Highland-Kämpfer und natürlich Jamie MacDonald, Brice’ inzwischen erwachsener Stiefsohn.
    Aus England war Megans mittlere Schwester Brenna mit ihrem Gatten Morgan Gray eingetroffen, der sich stets an ihrer Seite hielt und bemüht war, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Über seine zärtlichen Liebesdienste schmunzelte Megan leise, denn seine Gattin war ganz offensichtlich mit ihrem ersten Kind guter Hoffnung. Wer hätte es sich träumen lassen, dass zwei so rücksichtslose Männer wie Brice Campbell, der ruchlose Hochlandbarbar, und Morgan Grey, der „Wilde“ der englischen Königin, von der Liebe zweier höchst unterschiedlicher Frauen gezähmt werden konnten?
    Diese subtile Macht, welche ihre Schwestern auf ihre Gatten ausübten, war Megan völlig wesensfremd. Falls es irgendeinen geheimen Zaubertrunk gab, den eine Frau einem Mann eingab, um ihren Willen zu bekommen, so kannte Megan ihn bis jetzt noch nicht. Sie wollte auch von der Torheit verschont bleiben, die sich zwischen Liebesleuten abzuspielen pflegte. Liebe, dachte sie abfällig. Man sehe sich doch nur den ganzen Aufruhr an, den die Liebe verursacht!
    Megan schaute zu dem Mann hinüber, der so stolz neben ihr stand. Der alte Duncan hatte schon ihrem Vater und Großvater so-wie ihren Schwestern Meredith und Brenna treu als Waffenmeister gedient. Zudem war er ein kluger Ratgeber in politischen Angelegenheiten gewesen. Dennoch war es weder sein fortgeschrittenes Alter noch seine nachlassende Gesundheit, die ihn schließlich seine wichtige Stellung gekostet hatte. Es war die Sorge um seine Ehefrau.
    „Meine Mary wird immer gebrechlicher. Sie braucht mich bei Tag und Nacht. Das ist der einzige Grund, der wichtig genug ist, um mich von Eurer Seite zu nehmen. Ich hoffe nur, Ihr versteht, dass ich zurücktreten muss, Megan.“
    O ja, das tat sie. Dieselbe Art von Verbundenheit hatte auch zwischen ihren Eltern bestanden.
    Die Stimme des alten Mannes brach. „Ihr seid so jung, um die Herrin unseres Clans zu sein. Ich hatte gehofft, bei Euch bleiben und Euch in schwierigen Belangen beistehen zu können.“
    Ohne auf das Protokoll Rücksicht zu nehmen, legte Megan Duncan die Arme um den Nacken und drückte den alten Mann an sich. „Ich weiß, Duncan.“ Sie strich ihm über den Kopf, und für einen Moment versagte ihr die Stimme. „Für mich warst du Bruder, Vater und Großvater. Ich weiß, wie sehr es dich betrübt, diesen Ehrenplatz aufzugeben. Ganz besonders“, setzte sie leise hinzu, „da dein eigener Sohn und dein Enkel schon im Grab liegen.“
    „Ja ... und es gibt niemanden, der die Tradition fortsetzen könnte.“
    „Du hast alles gegeben, was ein Mann nur geben kann.“ Mit lauter, klarer Stimme rief sie den Leuten zu: „Hier seht ihr den loyalsten Soldaten von ganz Schottland - Duncan MacAlpin!“
    Die Menge jubelte.
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