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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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Schmerzensschrei mitten auf dem schlecht befestigten Weg seinen Dienst. Obwohl Bernhard geistesgegenwärtig den Zündschlüssel zog, begann der Motor, auf höchster Drehzahl zu röhren; es war ein Laut, mit dem, wie Carmen sofort wusste, alles Leben aus ihm wich, endgültig. Als sie sich umdrehte und durch das Heckfenster blickte, sah sie den Horizont verdunkelt von einer Wand aus tiefschwarzem Qualm, der schnell das Auto einhüllte. Erschreckt, einen Brand annehmend, rettete sie sich aus dem Wagen und lief ein gutes Stück davon. Sekunden danach trat Bernhard ruhig aus dem Qualm hervor.
    »Die Papiere!«, schrie sie. »Die Dokumente! Bernhard!«
    Als habe er sie nicht gehört, schlurfte Bernhard vollends aus der Wolke hinaus; hilflos versuchte sie, sich näher heranzuwagen, fürchtete dann aber zu sehr, dass der Benzintank Feuer fangen und der Wagen explodieren könnte; und so mussten sie beide dem heiseren Todeskampf des Wagens bis zum Ende zusehen. Es mochten drei, vier Minuten vergangen sein, als die Qualmsäule sich langsam auflöste und das Röhren des Motors erst zu einem Röcheln verebbte und schließlich ganz erstarb. Dann war es still.
    »Was war das?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Burn-out«, antwortete Bernhard, ohne sie anzusehen. Weiter machte er keine Anstalten, irgendeine Initiative zu ergreifen. Als sie sicher war, dass die Gefahr vorüber war, barg sie das Gepäck und die Zugangsdaten aus dem Wagen, entnahm ihrem Koffer ein neues Paar Schuhe und entledigte sich ihres Blazers, da es inzwischen heiß geworden war.
    »Wohin müssen wir?«, fragte sie Bernhard.
    Langsam, wie eine Eidechse, oder auch tief träumend, drehte er den Kopf in ihre Richtung. »Wie: müssen?«
    Sie hielt sich vor, überhaupt eine Antwort erwartet zu haben; jetzt war sie sicher, es würde keine kommen. Am Ende des sandigen Weges, auf dem sie standen, konnte sie die Ruine einer Finca ausmachen, ohne Dach und mit eingefallenen Seitenwänden. Sie fühlte keine Ratlosigkeit, sondern etwas anderes … Mut. Sie würde hier nicht stehen bleiben. Sie hatten noch immer das Geld. Oder würden es bald haben.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme unbeschwert klingen zu lassen. Es war eine schwierige Situation, zweifellos; doch wenigstens sie musste die Kontrolle behalten. Sie hatten alles, was sie brauchten, dachte sie, es gab keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren. »Ich hatte an Monaco gedacht«, sagte sie nun. »Es dürfte nicht schwer sein, dorthin zu kommen. Die Gesetze dort sind gut für uns, soweit ich weiß … und, na ja: Du weißt ja, wie es dort sonst so ist. Wir müssen jetzt nur irgendwo ein Taxi finden und …«
    »Taxi?« Bernhard schaute sie an, als habe sie von Teleportation gesprochen. Dann lachte er. Nicht kurz und knarzig, wie er es sonst tat. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, öffnete sich, seine Stirn legte sich in Falten, und wie der Monsun über ein Dürregebiet kommt, so kam das Lachen über sein Gesicht. Ein offenes und herzliches Lachen, so unpassend, so geschmacklos, wie nur irgendetwas in dieser Situation sein konnte.
    »Du Schlappschwanz!«, schrie sie. »Du Vollidiot! Kannst du für einen Augenblick ernst bleiben? Für nichts hast du gesorgt, für nichts! Du hast uns in die Scheiße geritten!«
    Aber Bernhard hörte nicht auf zu lachen. »Uns!«, wiederholte er und zeigte auf sie, »uns!«, als sei dies ein ulkiges Wort aus einer fremden Sprache. Nur langsam wurde sein Lachen leiser. Ein irres Kichern blieb übrig, zu dem er den Kopf schüttelte und etwas Sinnloses brabbelte.
    »Bernhard, wir müssen uns jetzt zusammenreißen.« Sie griff ihren Rollkoffer, als verliehe er ihr zusätzlichen Halt. »Komm schon. Was ist jetzt?«
    Er sah sie an, noch immer kopfschüttelnd; sein Lächeln hatte sich zu einem schmalen Strich zusammengezogen. Schließlich sagte er: »Mein Gott, sieh dich nur an … Also wir suchen jetzt ein Taxi, ja? Warte mal, da vorne hinter dem Dornenbusch müsste eins stehen. Dann fahren wir – schwupp! – nach Monaco und mieten uns im Monte Carlo Resort ein, super Plan. Aber warte mal: Wir haben ja gar kein Geld. Also schnell den nächsten Monaco-Geldautomaten gesucht und die Zugangsdaten eingetippt, die du todesmutig aus dem Feuer gerettet hast. Danke dafür, übrigens. Und dann? Wie viel Geld willst du haben? Soll ich 10.000 ausdrucken? 20.000? Ist egal, sag mir eine Zahl, alles ganz egal. In Monaco ist alles möglich.« Er schien sich beherrschen zu
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