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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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allerdings nicht lange aushielt. Ziellos ging er in dem karg möblierten Büro auf und ab, während der Angestellte des Instituts ihm, die Hände auf dem Tisch gefaltet, mit seinen Blicken folgte. »Maybe you have another   ID  …?«
    »No, I haven’t« – Bernhard war herumgewirbelt und begann, so dachte Carmen, sich zwar noch nicht im Ton, aber dafür in der Lautstärke zu vergreifen, »all my   ID s are stolen, I was robbed yesterday, do you understand?«
    »Oh, I’m so sorry to hear that. Did you inform the police?«
    Bernhard antwortete nicht. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah abermals zum Fenster hinaus, als suche er dort angestrengt nach der Lösung seines Problems. Und langsam begriff Carmen, dass dieses Problem auch sie betraf … begriff, dass alles, worauf Bernhard hingearbeitet und womit auch sie nun immer mehr gerechnet hatte, mit dem Fehlen seines Ausweises plötzlich infrage gestellt war. »There has to be another possibility«, sagte sie jetzt.
    »Probably. Is there anything special you are thinking of?«, fragte der Mann und legte seine manikürten Finger aneinander.
    »I could sign for my husband.« Sie sah hinüber zu Bernhard, der sie in einer Mischung aus Kraftlosigkeit und Entsetzen musterte, aber nicht widersprach.
    »I’m afraid not. Even if it were possible – how would you prove to be married?«
    Natürlich konnte sie das Dilemma, in dem sie steckten, problemlos verstehen. Merkwürdigerweise führte dies jedoch noch immer nicht dazu, dass sie die Situation als hoffnungslos anzuerkennen bereit war. Ja, aus irgendeinem merkwürdigen Grund konnte sie sie nicht einmal ernst nehmen … fast so, als sei dies nur eine untergeordnete Probe für die spätere, und erst dann möglicherweise bedrohliche, Situation. Dies war lediglich eine kleine Hürde, ein retardierendes Moment, das die Geschichte ein wenig hinauszuzögern, aber ganz sicher nicht beenden würde. »So, my husband happens to deposit a whole lot of money into this bank.«
    »Carmen. Halt den Mund.«
    »Yes, I know this, Mrs Milbrandt, and I agree to all your complaints about our bureaucratic obligations. But …«
    »But I wonder how much it would cost to offensively ignore these restrictions.«
    »Carmen, halt dich da raus.« Bernhards Nervosität war nun schier mit Händen zu greifen, während Carmen noch immer völlig ruhig blieb. Als hinge das Gelingen oder Scheitern des Versuchs nicht von der Tragfähigkeit des dünnen Eises ab, auf dem sie stand, sondern ausschließlich von ihrer Überzeugungskraft und Standfestigkeit, fuhr sie fort, dem Mann unbeirrt in die Augen zu sehen. Jetzt lächelte sie sogar.
    »Excuse me, but let me get this clear«, begann der Mann nun ebenso unbeirrt. »Are you trying to bribe me? Because, if so, you have to know that this house will not continue to negotiate by any means.«
    »Listen«, begann nun Bernhard beschwichtigend und trat einen Schritt näher, und es erstaunte sie, dass sie für einen Augenblick sein Hiersein bedauerte. Tatsächlich: Ohne dass Bernhard zu Wort gekommen wäre, brach nun der Leiter des Instituts die Unterredung ab. »So I’m afraid there’s nothing I can do for you at the moment.«
    »Fuck!«
    Sie hatte nicht bemerkt, wie Bernhard neben ihr immer näher an den Schreibtisch des Mannes herangetreten war. Nun hatte er die Mappe, die dieser schon zurechtgelegt hatte, an sich gerissen und stieß den Mann, als er danach zu greifen versuchte, zurück. Alles geschah so schnell, dass sie zunächst nicht begriff … Bernhard war bereits bei der Tür und hatte sie aufgerissen.
    »Mr Milbrandt, this doesn’t make sense at all«, versuchte der Bankangestellte noch, die Situation zu bereinigen, aber Bernhard war bereits draußen auf dem Flur, und jetzt – ohne, dass sie Zeit zum Nachdenken gehabt hätte – war auch Carmen dicht hinter ihm. Sie rannten die Stufen des Treppenhauses hinunter, und weil sie in ihren hochhackigen Schuhen unvermeidlich etwas zurückblieb, schrie Bernhard: »Die Schlüssel!«
    Sie zögerte.
    »Gib mir die verdammten Schlüssel!« Bernhard war schon unten in der Lobby, während sie noch zwei lange Treppenabsätze zu überwinden hatte; er würde den Wagen vorgefahren haben, bis sie unten war. Oder längst weg sein.
    Sie schleuderte die Schuhe beiseite und überwand die restlichen Stufen in einem Satz. Bernhard, der die ganze Zeit kopflos auf sie einschrie, war bereits bei der Tür. Gemeinsam passierten sie die Straße und waren
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