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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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seiner Rede nebenbei: "in Rußland gibt es im gegenwärtigen Augenblick keine politische Partei, die sagen würde: Gebt die Macht in unsere Hände." Im gleichen Augenblick ertönte der Zwischenruf "Es gibt eine!" Lenin liebte es nicht, Redner zu unterbrechen, und liebte nicht, wenn man ihn unterbrach. Nur ernste Erwägungen konnten ihn bewegen, diesmal auf seine übliche Zurückhaltung zu verzichten, Aus der Logik Zeretellis ergab sich, daß man, gerät ein Volk in das Geflecht größter Schwierigkeiten, vor allem bestrebt sein müsse, die Macht anderen zuzuschieben. Darin bestand im Grunde die Weisheit des russischen Versöhnlertums, als es nach dem Februaraufstand die Macht den Liberalen zuschob. Der wenig anmutigen Angst vor der Verantwortung verlieh Zeretelli die Färbung politischer Uneigennützigkeit und außerordentlichen Weitblicks. Für einen Revolutionär, der an die Mission seiner Partei glaubt, ist eine solch feige Prahlerei ganz unerträglich. Eine revolutionäre Partei, die fähig ist, bei schwierigen Verhältnissen der Macht auszuweichen, verdient nur Verachtung.
    In seiner Rede während der gleichen Sitzung erläuterte Lenin seinen Zwischenruf: "Der Bürger-Minister für Post- und Telegraphenwesen, Zeretelli ... sagte, daß es in Rußland keine politische Partei gäbe, die ihre Bereitschaft aussprechen würde, die Macht ganz zu übernehmen. Ich antworte, es gibt eine; keine Partei darf darauf verzichten, und unsere Partei verzichtet darauf nicht. Jeden Augenblick ist sie bereit, die ganze Macht zu übernehmen (Applaus und Lachen). Ihr mögt Lachen, soviel ihr wollt; wird uns aber der Bürger-Minister vor diese Frage stellen ... er wird die nötige Antwort erhalten." Es sollte scheinen, der Gedanke Lenins ist absolut klar.
    Auf dem gleichen Sowjetkongreß äußerte ich mich, als ich nach dem Ackerbauminister Pjeschechonow das Wort nahm, folgendermaßen: "Ich gehöre mit ihm (Pjeschechonow) nicht der gleichen Partei an, aber wenn man mir sagte, das Ministerium würde aus zwölf Pjeschechonows gebildet werden, dann würde ich erwidern, es sei ein riesiger Schritt vorwärts ... "
    Ich glaube nicht, daß schon damals, während der Ereignisse, meine Worte über ein Ministerium der Pjeschechonows als Antithese zur Leninschen Bereitschaft, die Macht zu übernehmen, verstanden werden konnten. Als Theoretiker dieser vermeintlichen Antithese tritt nachträglich Suchanow auf. Indem er die Vorbereitung der Bolschewiki zur Demonstration vom 10. Juni zugunsten der Sowjetmacht als Vorbereitung zur Machtergreifung deutet, schreibt Suchanow: "Zwei, drei Tage vor der "Kundgebung" sagte Lenin öffentlich, daß er bereit sei, die Macht zu übernehmen; während Trotzki damals sagte, er wünsche zwölf Pjeschechonows an der Macht zu sehen. Das ist ein Unterschied. Dennoch nehme ich an, daß Trotzki zur Aktion des 10. Juni hinzugezogen worden war. Lenin war auch damals nicht geneigt, ohne den zweifelhaften "Interrayonisten" [1] in den entscheidenden Kampf zu gehen. Denn Trotzki war ein ihm ähnlicher monumentaler Partner im monumentalen Spiel, während in Lenins eigener Partei nach ihm lange, lange, lange niemand kam."
    Diese ganze Stelle ist voller Widersprüche. Nach Suchanow plante Lenin angeblich das, wessen ihn Zeretelli beschuldigte: "Die sofortige Machtergreifung durch die proletarische Minderheit." Den Beweis für diesen Blanquismus sieht Suchanow, so unwahrscheinlich das ist, in Lenins Worten von der Bereitschaft der Bolschewiki, trotz allen Schwierigkeiten, die Macht zu übernehmen. Hätte aber Lenin tatsächlich die Absicht gehabt, am 10. Juni durch eine Verschwörung die Macht zu übernehmen, er würde wohl kaum am 4. Juni in der Plenarsitzung des Sowjets die Feinde gewarnt haben. Muß man daran erinnern, daß Lenin seit dem ersten Tag seiner Ankunft in Petrograd der Partei einschärfte, die Bolschewiki könnten sich die Aufgabe des Sturzes der Provisorischen Regierung erst nach Eroberung der Sowjetmehrheit stellen. In den Apriltagen trat Lenin entschieden gegen jene Bolschewiki auf, die die Losung: "Nieder mit der Provisorischen Regierung" als Aufgabe des Tages gestellt hatten. Die Leninsche Republik vom 4. Juni hatte nur einen Sinn: Wir Bolschewiki sind schon heute bereit, die Macht zu übernehmen, wenn die Arbeiter und Soldaten uns ihr Vertrauen schenken; damit unterscheiden wir uns von den Versöhnlern, die, im Besitz des Vertrauens der Arbeiter und Soldaten, nicht wagen, die Macht zu übernehmen.
    Suchanow
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