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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Autoren: Sue Twin
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    Biester

 
    W enn sie mich erwischen, bin ich tot. Ich hätte keine Chance, einen Kampf mit ihnen zu überleben. Meine Knie zittern.
Vor Angst macht mein Herz einen schmerzhaften Hüpfer. Aber da ist auch Freude –
ich bin glücklich, weil ich kurz vor
meinem Ziel bin. Denn es heißt, wer am Tag nach seinem siebzehnten
Geburtstag an einem Wasserfall steht, der sieht darin seine Zukunft. Ich
brauche unbedingt eine Antwort …
    Staunend betrachte ich den schillernden Dunst, der über
die Wipfel der Baumriesen wallt. Die Blätter glänzen smaragdgrün im Licht der
goldenen Sonne. Am westlichen Horizont verschwimmt der Wald hinter einer
zartblauen Nebelbank.
    Ich spähe nach Nordosten zu den todbringenden
Bergen, die ich noch nie aus der Nähe betrachtet habe. Die Felsmassive spitzen
in den Himmel, allgegenwärtig und bedrohlich. Freiwillig werde ich niemals den
Weg in diese Richtung einschlagen.
    Behutsam setze ich einen Fuß auf das
rundgeschliffene Gestein, dann den anderen. Eiskaltes Wasser umspült prickelnd
meine Zehen. Vor mir mäandert der Bach durch den Wald. Ein tückischer Bergbach.
Immer wieder gibt es diese tiefen Stellen. Deshalb stehe ich lieber auf den
Findlingen und dem Blockgeröll. Konzentriert balanciere ich mit rudernden Armen
über die moosigen und glitschigen Felsbrocken, folge dem Lauf des Flusses.
    Den Uferrand meide ich. Dort ist der Boden
stellenweise matschig und ich würde verräterische Spuren hinterlassen. Sie dürfen meiner und Alinas Fährte
nicht folgen.
    »Komm schon!«, rufe ich.
    Alina bleibt stehen. »Es ist Wahnsinn, Soraya.
Wirklich.«
    Ich muss schlucken. Bei ihrem Anblick geht mir ein
Stich durchs Herz. Wie verletzlich und zart sie aussieht mit ihrem blonden Haar
und der zierlichen Gestalt. Ich hätte sie nicht mitnehmen und in Gefahr bringen
dürfen.
    »Okay«, willige ich ein. »Warte hier! Ich schaue,
ob die Luft rein ist.«
    Der Wasserfall muss jetzt ganz in der Nähe sein.
Mit jedem Schritt wird das Brausen in meinen Ohren lauter und verschlingt die
übrigen Geräusche des Waldes. Es ist riskant und töricht, was ich hier mache.
    Aber diese Legende, die man sich bei uns zuflüstert,
will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen …
    Besorgt blicke ich mich nach Alina um. Sie ist
weit hinter mir zurückgeblieben. Wo
bleibst du? Niemand in der Nähe, will ich ihr zurufen, aber sie würde es
ohnehin nicht mehr hören. Es ist hier zu laut und wenn ich brülle, riskiere
ich, dass doch noch einer von ihnen mich
entdeckt.
    Das wäre unser sicheres Ende.
    Also unternehme ich einen letzten Versuch, meine
Freundin zu überreden, mir zu folgen, und winke ihr zu. Aber sie schüttelt den Kopf.
Angst beherrscht ihre unruhig flackernden Augen. Das sehe ich trotz der Distanz
zwischen uns. Wie erstarrt steht Alina da. Weitere Versuche, sie zu locken,
sind zwecklos.
    Für einen Moment überlege ich, ob ich umkehren
soll. Es wäre vernünftiger. Um ehrlich zu sein, wäre es das einzig Richtige. Aber
meine Neugier ist stärker.
    Noch nie war ich jenseits unserer düsteren,
tristen Stadt. Berauscht atme ich die frische Luft des Waldes ein. Es ist so
Grün um mich herum – ich kann die Blätter
schmecken. Meine Lippen prickeln erfrischt.
    Vorsichtig taste ich mich auf den Steinen
vorwärts.
    Die Geräusche der Vögel sind längst nicht mehr zu
hören, so dröhnend laut sind die Wassermassen, die sich irgendwo hier einen Weg
hinab in den Waldsee bahnen. Ich weiß, dass da ein See liegt, denn wir haben
alte Atlanten. Darin sind Landkarten aus einer Zeit, als Menschen noch motorisiert
von Ort zu Ort reisten. Doch jetzt gibt es keine Siedlungen mehr, zumindest haben
wir keine Verbindungen, und deshalb glauben die meisten von uns, dass wir in
der einzigen, noch existierenden Stadt auf dieser Welt leben.
    Die letzte Lieferung an Benzin haben die
Überlebenden vor ungefähr hundert Jahren aufgebraucht. Die alten
Überlandstraßen sind mit Rissen übersät, zugewachsen und so gut wie verschwunden.
Es gibt auch keine Kabelverbindungen und keine Sendemaste mehr.
    Alles wurde zerstört.
    Die Biester machen uns einen Wiederaufbau
unmöglich.
    Was wir besitzen, haben wir auf den schwer
bewachten Feldern angebaut oder in den Ruinen unserer Stadt gefunden. Ich habe in
einem zerfallenen Gebäude einen Plan entdeckt und an mich genommen.
    Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, wenn der
Vollmond günstig steht und einen kleinen Lichtstrahl durch den Mauerriss meines
Kellerzimmers hereinlässt, dann hole ich
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