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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Autoren: Sue Twin
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Höhe gewinnt.
    Unter mir auf dem Plateau harrt der Wolfer. Er
lässt mich nicht aus den Augen, während er sich halb aufrichtet und ein Stück
zurückrückt, bis er mit dem Rücken gegen den Felsen lehnt. Neben ihm liegt das
Messer. Seine Schulter blutet. Der Oberkörper ist schweißnass, er bebt. Das dunkle
Haar glänzt feucht. Oder ist es blutverklebt? Er atmet schwer, aber nicht
kraftlos.
    Langsam hebt er eine Hand und winkt mich näher.
    Ich blicke unentwegt in seine Augen, die im
Halbschatten bronzefarben leuchten. Wie magisch angezogen, als würde mich
irgendein Bann zwingen, bewege ich mich vorwärts. Langsam gleite ich näher an
die feuchte Felskante. An dieser Seite der Klippe gibt es steinerne,
treppenartige Basaltplatten, über die kein Wasser fließt. Ich lasse die Beine
herabbaumeln und rutsche Stufe um Stufe hinunter zu dem Felsplateau, auf dem der
Wolfer sitzt.
    Nur eine Armlänge von ihm entfernt tost und
schäumt der Wasserfall.
    Ich hocke mich vorsichtig auf die Knie.
    Er hebt erneut die Hand und gibt mir ein Zeichen: Tiefer! Ohne ihn aus den Augen zu
lassen, lege ich mich halbgekrümmt nieder. Signalisiere ihm damit, dass ich
mich ergebe. Ich lasse den nutzlosen Bogen los.
    Der Wolfer richtet sich auf, beugt sich vor. Ein
winziges Lächeln umspielt seine Mundwinkel und eine nasse Haarsträhne fällt ihm
in die Stirn.
    »Bitte … nicht«, flehe ich. Meine zitternde Stimme
versagt.
    Er beugt sich noch dichter über mich.
    Sein Gesicht, seine Augen sind so nah.
    Funken scheinen in seiner Iris zu tanzen und seine
langen, seidigen Wimpern vibrieren.
    Spontan bedaure ich, dass es nicht Nacht und
Vollmond ist, denn dann – so die Legenden – fordern Wolfer manchmal ein Mädchen
auf, ihrem Rudel zu folgen. Was genau in solchen Nächten mit einem passiert,
weiß ich nicht. Man stirbt vermutlich … oder wird einer von ihnen. Ich gebe zu,
als Gefährtin dieses Wolfers zu überleben, erscheint mir durchaus verlockender
als der Tod.
    Was für ein
verwegener Gedanke! Ich beiße mir auf die Lippe.
    Die dunklen Felsen sperren die Sonne aus, es ist hier
dämmerig, aber das täuscht. Draußen ist heller Tag – die nächste Vollmondnacht
ist sowieso erst in zwölf Tagen. No
Chance.
    Ich erschaure, als er seine Hand nach mir
ausstreckt.
    Vorsichtig berührt er meinen nackten Hals. Beinahe
neugierig streicht er mit den Fingerspitzen über meine Schlagader. Dann öffnet
er den Mund, knurrt und zeigt ein gefährliches, blitzweißes Gebiss mit vier
spitzen Reißzähnen. Ich will sie nicht sehen und konzentriere den Blick auf
seine samtweichen, geschwungenen Lippen, die meiner Kehle immer näher kommen.
Plötzlich hält er inne, schließt den Mund und schnuppert. Mit einem tiefen Atemzug
saugt er meinen Geruch ein.
    Der Himmel
stehe mir bei, ich spüre seine wandernde Hand an meinem Hals. Was hat er
vor?
    Sein Zeigefinger gleitet über mein Schlüsselbein tastet
zum obersten Blusenknopf.
    Ein verwirrendes Kribbeln erfasst mich dort, wo er
mich berührt hat. Mein Herz pocht heftig, es klopft gegen meine Rippen und
gleichzeitig habe ich das Gefühl zu schweben.
    Sterben ist
gar nicht so schlimm.
    Es ist wie
ein Rausch.
    Nein!
    Es ist nur die
Angst und das in meinem Blut zirkulierende Adrenalin, das mich benebelt.
    Der Wolfer greift nach meiner Hand, richtet sich
auf und zieht mich mit einem Ruck hoch. Mit zitternden, wackeligen Knien stehe
ich vor ihm. Er ist riesig. Ich reiche ihm gerade bis zur Brust und muss den
Kopf in den Nacken legen, um in seine Augen zu blicken.
    Er nickt kurz in Richtung der Felstreppe. Ich
verstehe auch ohne Worte, was er will, und gehe langsam rückwärts, bis ich die nassen
Stufen hinter mir spüre.
    Seine Körperhaltung ist eindeutig. Ich soll zurück
nach oben klettern. Ich habe keine Ahnung, ob mir das gelingt. Mit zitternden
Händen greife ich nach dem Felsen über mir und ziehe mich hoch. Spielt der
Wolfer mit mir? Seiner Beute. Zaghaft drehe ich den Kopf und blicke mich um.
    Er hält meinen Bogen in den Händen und zerbricht
ihn. Das Holz zersplittert wie Spielzeug. Achtlos wirft er die zwei Hälften ins
Wasser.
    Schnell drehe ich mich zurück und klettere weiter.
Doch plötzlich spüre ich ihn ganz dicht hinter mir. Vor Schreck rutsche ich ab,
falle rückwärts. Er packt mit den Händen meine Schultern, hält mich einen
Moment fest und schiebt mich dann sanft, aber bestimmt vorwärts. Ich erklimme
die nächsten Stufen und dann blicke ich verzweifelt hoch. Ich kann keine
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