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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Autoren: Sue Twin
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wir hier draußen waren. Meine
Eltern werden mich bestrafen.
    War es das
wert?, fragt mich mein Gewissen. Ich nicke unmerklich. »Kill!«, seufze ich.
Diese samtbraunen Augen mit den goldenen und kupferfarbenen Sprenkeln – es
fällt mir schwer, an etwas anderes zu denken. Zugleich regt sich Trotz in mir. Ja, er war es wert.
    Kill, was für ein merkwürdiger Name. Bei uns heißt
das Wort: Töte! Kill ist kein Name,
sondern eine Tat. Dem Wort am
ähnlichsten ist der Name Gill. Wer zum Krieger ausgebildet wurde, der ist in
unserer Gemeinschaft ein Gill. Diesen
Rang muss man sich verdienen. Ich will eine Gill werden – aber meine Eltern
sind dagegen.
    Es ist zum Mond anheulen , denke ich. Noch in diesem Jahr wird sich entscheiden, wer mich zur
Frau nimmt. Nur wer keinen Mann abbekommt, darf sich im Kampftraining beweisen.
Die Chancen stehen eins zu Hundert, die Prüfungen zu bestehen und als Kadett ins
Gill-Corps aufgenommen zu werden, sagt mein Vater. Wenn ich ehrlich bin, habe
ich nicht die geringste Aussicht, das zu erreichen. Zu wenig Muskeln, zu viel
rebellischen Geist und ein zu loses Mundwerk.
    »Widerspruch können sie in ihren Truppen nicht
gebrauchen«, klingen mir die Worte meiner Mutter in den Ohren. »In ihrem Dienst
musst du lernen, ihre Befehle auszuführen. Das schaffst du nie.«
    »Doch. Das kann ich.«
    »Sieh den Tatsachen ins Auge! Du hörst ja nicht
einmal auf deinen Dad.«
    »Wen wundert es, wenn er von mir verlangt, dass
ich Nähen und Kochen lernen soll.«
    »Schweig endlich!«
    »Wieso müssen Frauen das können?«
    »Weil die Männer uns beschützen.«
    »Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
    »Kannst du nicht.«
    »Mum, Männer wollen immer das Sagen haben. Deshalb
reden sie uns die Angst ein. Merkst du das denn nicht?«
    Unwillkürlich taste ich nach meiner Wange.
Dorthin, wo meine Mutter mich damals geschlagen hat.
    Verdammt! Nach der heutigen Aktion kann ich die
Träume von einer Gill-Kriegerin endgültig vergessen. Und damit sämtliche Sehnsüchte
nach weiteren Ausflügen außerhalb der städtischen Mauern. Meine Eltern werden
meine Zukunftspläne niemals akzeptieren … Ernüchtert spähe ich zu den dunklen
Betonpfeilern, den bröckelnden Mauerresten und den verbogenen Blechwänden. Vor
mir befinden sich die Überreste eines alten Bahnhofs. Auf den Gleisen liegt
eine verrostete Straßenbahn. Die braunen Waggons sind auf die Seite gekippt.
Durch die eingeschlagenen Fenster kann ich das stählerne Gerippe der ehemaligen
Sitzbänke erkennen. Der Schaumstoff ist längst verrottet.
    Alles ruhig.
    Nichts bewegt sich.
    Ein letzter Blick.
    Dann stoße ich mich von der Tür ab und sprinte
los. Quer über den Bahnhofsplatz. Während ich über den aufgerissenen Asphalt
laufe, blicke ich kurz zum blauen Himmel. Hoch oben kreisen die Falkgreifer.
Drei bis fünf sind um diese Tageszeit immer da. Früh morgens und abends ist
ihre Jagdzeit. Ich habe wegen dieser Biester noch nie einen Sonnenaufgang oder
einen Sonnenuntergang gesehen. Kinder und Jugendliche haben in der Dämmerung
Ausgangssperre. Seit gestern, seit meinem siebzehnten Geburtstag falle ich nicht
mehr unter diese Regelung.
    »Schachaa«, höre ich einen von ihnen aus der Ferne
rufen. Diese verdammten Biester! Sie belagern unsere Stadt, als wollten sie uns
damit sagen: Seht her, wir beobachten
euch. Wagt euch nicht hinaus!
    Endlich bin ich an der gegenüberliegenden Seite
des Bahnhofgeländes angelangt. Ich lege den Kopf schräg und horche auf
verdächtiges Schlurfen – auf Mutare. Sie verraten sich durch ihre über den
Boden schleifenden, langen Reptilienschwänze. Die stinkenden Biester werden bis
zu zwei Meter lang. Sie fressen uns das Essen weg. Mit ihren schuppenartigen
Panzern und spitzen Zähnen durchbrechen sie Holz als sei es Pappe. Ohne
Waffenschutz bin ich ihnen unterlegen. Sie töten uns. Wir töten sie. Ich höre nichts
Verdächtiges, zumindest nicht in unmittelbarer Nähe. Stattdessen vernehme ich
das ferne Trampeln von Stiefeln und menschliche Stimmen, die sich schnell
nähern.
    Eine
Gill-Einheit?
    Ein Suchtrupp!
    Ja sicher, sie haben meine Rückkehr am Türscan
erfasst. Das war unvermeidlich. Leugnen macht keinen Sinn. Verstecken ebenso
wenig. Allerdings überrascht es mich doch ein wenig, wie schnell sie sind. Um
alles nicht noch schlimmer zu machen, haste ich die Treppen nach unten in den
U-Bahntunnel und gehe ihnen entgegen.
    Pa:ris, der Sohn des Statthalters schreitet
behelmt und in voller Garde-Montur auf mich zu.
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