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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Autoren: Sue Twin
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auf den Dächern unserer Stadt aufgeladen werden. Das ist schon mein
gesamter Besitz. Das wertvollste sind meine Eltern, doch die habe ich in dieser
Nacht verloren.
    Ich muss mein Tagebuch löschen – es enthält zu
viele kritische Gedanken. Und die Landkarte unter der Matratze muss ich auch
vernichten – es ist verboten, etwas aus den Trümmern mitzunehmen. Plünderei
wird bestraft.
    Mit den Händen taste ich nach dem Plan, fühle ihn
und ziehe ihn hervor. Licht darf ich nicht anschalten. Das verbraucht unnötig
Strom aus unseren Solarzellen und lockt womöglich Mutare an. Sie kommen hier
nicht rein, das Kellerfenster ist mit Strom gesichert. Aber ihr Schnauben und
Schlürfen raubt mir den Schlaf. Die meisten Wohnungen in den Häusern haben wir
vor vielen Jahrzehnten aufgegeben. Zu unsicher, vor allem die vielen Fenster.
Immer wieder sind Falkgreifer über diese Öffnungen eingebrochen und haben ganze
Familien ermordet. Uns genügen jetzt die Keller zum Wohnen, denn wir sind
weniger geworden. Sehr viel weniger. Kaum zu glauben, dass in den hohen Türmen
überall mal Familien lebten.
    Nur wenige Türme sind uns geblieben. Man erkennt
sie daran, dass sämtliche Fenster zugemauert sind. Die Wohnungen in diesen Hochhäusern
haben solarbetriebene Klimaanlagen und sind sehr schick. Pa:ris und der
Statthalter bewohnen eine komplette Maisonette im dritten Stadtbezirk, zu dem auch
unser Wohnbezirk gehört. Sie haben Zimmer mit echten Tapeten, lackierten Möbeln
und flauschigen Teppichen. Ich war früher oft bei ihnen und habe mit Pa:ris für
die Schule gelernt. Manchmal fiel mir die Rückkehr in die karge Wohnung meiner
Eltern schwer. Pa:ris hat jedoch nie auf mich herab gesehen. Er hat immer davon
gesprochen, dass es allen einmal gut gehen soll. Der Aufbau verzögere sich nur
wegen der Biester.
    Hoffentlich erinnert sich Pa:ris daran, wenn er der
Statthalter ist. Dass er eines Tages seinen Vater ersetzen wird, ist längst
beschlossene Sache.
    Ein letztes Mal fahre ich mit dem Finger über die
Linien der Landkarte auf meinen Knien, präge mir die Landschaft ein. Dann
schnippe ich das Feuerzeug an, kleine Flammen lodern auf, züngeln nach dem
Papier und fressen sich sekundenschnell vorwärts. Ich starre auf den hellen
Lichtschein, ziehe die Finger zurück. Zuletzt halte ich nur noch einen Zipfel
mit Daumen und Zeigefinger. Das Licht ist erloschen. Ich puste die Asche durch
den Raum.
    Dann erhebe ich mich von meiner Matratze und taste
mich vorwärts zum Schreibtisch.
    Im Dunkeln greife ich nach der Tagebuchplatte,
schalte sie ein und drücke auf »Inhalt löschen«. Der Computer fragt mich
dreimal, ob ich das auch wirklich will. Ich bestätige.
    Um ganz sicher zu gehen und damit niemand die
Daten rekonstruieren kann, spiele ich alte Schulaufsätze auf die Platte. Dann
lege ich mich zurück ins Bett.
    »Vater. Mutter. Ich mache euch keinen Kummer mehr.
Versprochen«, murmele ich, bevor ich einschlafe.

 
    Pa:ris’ Verlangen

 
    M eine Mutter schiebt mir die
Schüssel mit dem bitteren Nussbrei rüber. »Iss, du brauchst das Fett!«
    Ich stochere in dem ranzigen Kleister. Lieber
hungere ich. Das Klopfen an der Tür erlöst mich. Erleichtert lege ich den
Löffel beiseite. Ein Bote tritt ein, grüßt mechanisch und fragt: »Wohnt hier
eine Soraya Mistral?«
    »Das bin ich.«
    Er hält mir eine Nachrichten-Platte hin. Ich autorisiere
mich, indem ich meine Hand auf das Lesegerät lege. Die Textdatei öffnet sich: »Sei
bitte eine Stunde vor der Anhörung im Stadtgericht.«
    Die Nachricht trägt das Siegel des Statthalters
und die Unterschrift von Pa:ris. Warum ist er nicht persönlich gekommen, um mir
das zu sagen? Ratlos schaue ich auf die wenigen Zeilen.
    »Wollen Sie antworten?« Der Bote blickt
gelangweilt über unseren kargen Frühstückstisch. Seine Garde-Uniform mit dem
Emblem des Gerichts, einer schwarzen Waage auf goldenem Grund, sitzt tadellos.
Die schwarze Lederjacke glänzt frisch gewachst. An den blanken, goldenen
Knöpfen erkenne ich, dass er zum Jung-Corps gehört. Keine Sterne! Er ist nur ein einfacher Rekrut am Gericht.
    »Nein, nicht nötig«, antworte ich.
    Er blickt mich irritiert an und schlägt zum Gruß
die Hacken zusammen.
    »Richten Sie Pa:ris bitte aus, dass ich da sein
werde.«
    »Sie meinen Pa:ris Liberius?«
    »Blödmann«, zische ich.
    Er zuckt zusammen.
    »Entschuldigung. Ja, den meine ich. Oder wer hat
Ihnen die Nachricht wohl übergeben?«
    »Der Gill-Offizier von der Poststelle. Hier sind
noch
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