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Alpengrollen: Kriminalroman

Alpengrollen: Kriminalroman

Titel: Alpengrollen: Kriminalroman
Autoren: Michael Gerwien
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1
     
    Sie hörte Schritte von weit her. Sehen konnte sie nichts. Der Sack, den sie ihr über den Kopf gezogen und am Hals festgeschnürt hatten, ließ das nicht zu. Nur für ihren Mund war eine Öffnung ausgespart, durch die sie ihr vor ein paar Stunden Wasser gegeben hatten. Und irgendeinen ekelhaften Brei. Wann genau das gewesen war, konnte sie nicht sagen. Sie hatte kein Zeitgefühl mehr. Wusste nicht, wie lange sie schon hier auf dem kalten Boden lag. Dass er feucht war und aus Stein oder Fliesen sein musste, konnte sie mit den Händen spüren.
    Jetzt öffnete jemand die Tür. Ein eisiger Windhauch zog zu ihr herüber. Sie betete zu Gott, dass man ihr nicht wieder eine von diesen Spritzen gab, die sie so schwindelig machten. Und so müde. Ihre Arme und Beine taten weh. Die engen Fesseln schnitten in die Gelenke ein. Sie konnte sich kaum noch bewegen. Hatte immer wieder geweint in den letzten zwei Tagen. Sich immer wieder gefragt, wie sie nur in diese ausweglose Situation hatte geraten können. Doch so sehr sie sich auch den Kopf zermarterte, sie kam nicht darauf. Konnte sich lediglich daran erinnern, dass sie mit ihren Freundinnen beim Skifahren gewesen war. Auf dem Nachhauseweg am frühen Abend hatten sie dann im Eiscafé in der Stadt noch etwas getrunken. Und dann … Nichts mehr … Zappenduster. Als hinge ein dicker schwarzer Vorhang vor ihrer Erinnerung. Schon eine ganze Zeit lang spürte sie ihre Füße nicht mehr.
    Jemand trat neben sie und redete in einer Sprache zu ihr, die sie nicht verstand. Der barsche Tonfall machte ihr Angst. Sie spürte wieder die Plastikflasche von vorhin an ihrem Mund. Schluckte gierig. Hatte großen Durst. Dann flehte sie mit zitternder Stimme blind in den Raum hinein, sie doch bitte, bitte wieder freizulassen. Ihre Familie würde ganz sicher gut für sie bezahlen. Die wäre sehr reich. Man müsste sie nur anrufen. Keine Antwort. Stattdessen traf sie eine Hand hart im Gesicht. Sie begann zu weinen. Bekam den nächsten Schlag ab. Diesmal auf den Hinterkopf. Sie spürte wieder diesen Stich in ihren Arm und wurde müde. Hörte auf einmal nur noch wie durch einen dicken Wattebausch. Alles in ihr begann sich zu drehen. Dann kippte sie seitlich auf den Boden und blieb regungslos liegen. Das Geräusch des Schlüssels im Türschloss bekam sie nicht mehr mit.

2
    »Ja, soll das da vielleicht eine anständige Halbe sein? Da fehlen doch mindestens zwei Fingerbreit.« Im Großen und Ganzen gab es nur zwei Dinge, die der Münchener Exkommissar Max Raintaler absolut nicht leiden konnte: verlogene Verbrecher und schlecht eingeschenktes Bier.
    Die Kellnerin warf ihm einen genervten Blick zu. »Es hat ja niemand gesagt, dass Sie Ihr Bier unbedingt hier bei uns trinken müssen!«, meinte sie schnippisch.
    Nun, wenn man es jetzt genau betrachtete, gab es wohl doch eher drei Dinge, die Max nicht mochte: verlogene Verbrecher, schlecht eingeschenktes Bier und arrogante Serviererinnen.
    »Ihnen geht es wohl zu gut«, erwiderte er. »Ich trinke mein Bier immer noch da, wo ich will. Schauen Sie bloß zu, dass Sie mir auf der Stelle eine volle Halbe bringen. Ja, wo samma denn?«
    Wenn der Raintaler drauf und dran war, ungemütlich zu werden, tat man besser, was er sagte. Das wussten die vielen Gewalttäter und Betrüger, die er im Laufe seiner Karriere überführt und hinter Gitter gebracht hatte. Und gerade ahnte es auch die vorlaute Tablettträgerin der bayerischen Traditionsgaststätte gleich beim Marienplatz. Sie murmelte etwas in der Art wie: na gut, na gut, bekam einen roten Kopf, nahm sein Glas und lief damit zur Theke.
    »Das glaubt dir doch niemand«, klärte Max währenddessen die vier japanischen Touristen auf, die mit ihm am Tisch saßen. »Bringt die ein schlecht eingeschenktes Bier und wird auch noch frech. Ja, wo gibt’s denn so was?«
    Die beiden Ehepaare verstanden kein Wort. Aber sie hatten mitbekommen, wie beeindruckend ein bayerischer Bariton klingen konnte. Und da sie sich fast sicher waren, dass der athletisch gebaute Ureinwohner mit dem Dreitagebart vor ihnen nicht nur eine kräftige Stimme hatte, lächelten sie ihn einfach nur freundlich an. Und hofften, dass er friedlich blieb.
    »So. Bitte, der Herr.« Die Kellnerin war mit einem vollen Bierglas zurück und knallte es schwungvoll vor Max auf den Tisch.
    »Ja, wunderbar«, antwortete der. »Genau so muss eine richtige Halbe in Bayern ausschauen. Bier bis zum Eichstrich und eine schöne Krone oben drauf. Jetzt wären da nur
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